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Die Spucke des Teufels

Die Spucke des Teufels

Titel: Die Spucke des Teufels
Autoren: Ella Theiss
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Lehm und Kieselgestein, sprühen
Fontänen von Morast umher und wehen hinter dem Reiter her wie eine Schleppe.
Schwer sinkt sie nieder, die nasse Schleppe, hinterlässt einen Flickenteppich
aus Pfützen, Grünzeug und maulwurfshügelgleichen Erdhaufen.

    Auch Sleipnir, Odins achtbeiniges Ross, soll vor Jahrtausenden
den niederen Rhein in wilder Jagd hinauf- und hinuntergeprescht sein. So
erzählt man sich. Seine riesigen Hufe sollen Löcher in die Erdkruste
geschlagen, den Lehm herausgelöst, den Fels zerborsten haben. Und aus seinen
Hufen soll die Masse aus Erde und Gestein mit jedem Galoppsprung gelöst und zu
niederen Hügeln herniedergeregnet sein. So deutet das Volk die von Auen und Sümpfen,
Wiesen und Wäldern gesprenkelte Landschaft, die ein ferner Gott aus Rom ihm nicht
erklären kann.

    Sage niemand, der Niederrhein sei flach. Er ist tief. So
wie eine Berglandschaft hoch ist. Er lässt die Unendlichkeit des Himmels nicht
gelten, denn dieser hängt selbst bei Sommersonnenschein niedriger, als der Horizont
weit ist. Dafür lassen all die hohlen oder wassergefüllten Erdlöcher, die
Moore, die Sümpfe, die von struppigem Wald bedeckten Senken die Unendlichkeit
der Welt selbst ahnen.

     
    An einem jener kleinen Seen am Rande des
Reichswalds hockt die junge Dirne Traute, betrachtet weinend ihr Spiegelbild im
Wasser. Ein Haufen Dragoner hat sie übel zugerichtet, als sie sich gegen deren
Zudringlichkeit wehrte, gerechte Bezahlung und freundliche Behandlung
einfordern wollte. Man hat sie über Stunden geschändet, ihr ins Gesicht
geschlagen und das Nasenbein zertrümmert. Man hat sie an einen Baum gefesselt
und mit Steinen nach ihr gezielt, man hat auf sie uriniert und sie zuletzt in
den Schlamm geworfen.

    Ihr einzig getreuer Freier, ein Schmied aus Hassum, will
nun nichts mehr von ihr wissen. Wenn er schon für ein Weib zahlt, so sagt er,
muss es wenigstens lieblich aussehen.

    So sucht sie im tiefen Wald Zuflucht vor dem Spott der
Menschen. Stolpert und stürzt über Baumwurzeln und Farnstümpfe, denn sie ist
müde und schwach, ernährt sich seit Tagen nur von Grassamen. Ich bette sie auf
ein Lager aus Moos, wasche ihren Leib mit warmem Regen und führe sie in eine
kleine Erdhöhle im Reichswald, wo sie viel beschriebenes Papier, ein Stück
gedörrtes Fleisch und ein Fläschlein Baldriantinktur findet. Sie wird sich,
zumal sie nicht lesen kann, aus dem Papier ein trockenes Lager schaffen, wird
das Fleisch essen und die Tinktur wie einen Schnaps in sich hineinkippen, wird
lange schlafen und gekräftigt erwachen. Und ich werde ihr eine mitleidige Seele
schicken, die sie nach Krefeld bringt. Wo sie eine ehrbare Arbeit als Näherin
in einer Seidenmanufaktur finden und glücklich sein wird.

     
    Weit drüben auf der anderen Rheinseite, wo der Ort
Rees in eine karge Waldlandschaft übergeht, hat sich mein lieber Willem von
seinem Freund Jost und den Kindern, von all den freundlichen Schauspielern und
Zigeunern verabschiedet. Die wollen in wenigen Tagen über die Landesgrenze nach
Werth weiterziehen. So hat Willem seine Siebensachen gepackt und dem Esel
aufgeladen. Will sich auf den Heimweg machen, als meine Lisbeth in seinen Weg
tritt und ihm in ihrem bunten Zigeunerkleid schöner erscheint als je. Er presst
die Lippen zusammen, würgt an seinem Stolz.

    Ich hätte dich niemals geschlagen, Lisbeth. Ich wäre
dir ein guter Ehemann gewesen. So denkt er, aber sagt es nicht.

    Ich verstehe, dass dir vor mir graust, Willem. Verzeih
mir, wenn du kannst. So denkt Lisbeth. Schweigt aber auch. Nicht aus Stolz.
Die Scham verschnürt ihr die Kehle. Und sie senkt den Blick, rafft ihr
Schultertuch vor der Brust zusammen, weil Willems beherrschte Miene sie
frösteln macht.

    »Leb wohl!«, sagt Willem, wendet sich ab und geht davon,
geht neben seinem beladenen Esel her, vergisst wieder einmal zu humpeln vor
lauter Seelenschmerz.

    Bleib!, rufe ich. Sie hat nur aus Angst und
Unwissenheit gehandelt. Sie ist nicht mutig und klug wie du. Doch sie könnte
dich lieben und dir noch viele Kinder gebären.

    Und ich schicke ihm eine Sturmböe, die an seinem Mantel
zerrt, und lasse die Weiden, die aus dem Sumpf entlang des Rheins ragen, ihre
kahlen Köpfe schütteln.
    Doch auch wenn mein lieber Willem die Warmherzigkeit
selbst ist, wird er vom Hochmut und vom Glauben an die reine Vernunft
beherrscht. Und so wehrt er mich ab und geht davon, ohne sich noch einmal
umzudrehen.

    Leb wohl, Willem, denkt Lisbeth, sieht ihm nach,
bis ihn die
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