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Die Spucke des Teufels

Die Spucke des Teufels

Titel: Die Spucke des Teufels
Autoren: Ella Theiss
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Kopfweiden, verzieht sich kreischend zum
Horizont, wo der Reichswald wie eine dunkle Narbe zwischen Himmel und Erde
klafft.

    Dem Trauerzug voran schreitet der Pastor in feierlicher
Langsamkeit, den Kopf gebeugt, die Hände zum Gebet gefaltet, links und rechts
neben ihm stolpern die Ministranten durch aufgeweichte Fuhrrinnen, bekleckern
ihre weißen Roben mit Morast. Hinter dem Sarg geht Lisbeth. Allein. Der
Ochsenwirt, den sie zu Grabe tragen, hat sonst keine Angehörigen.

    Erst als sie das Dorf erreichen, wächst die Trauergemeinde
an, verlängert sich mit jedem Gehöft um ein oder zwei schwarze Gestalten, die
sich stumm und mit Abstand einreihen. Der Ochsenwirt ist an der Ruhr gestorben,
so heißt es. Was hilft es da, die Ritzen des Sargs mit Pech zu verschmieren,
wie Lisbeth es gemacht hat! Seuchen suchen sich immer ihren Weg, zumal wenn der
Winter bevorsteht.

    Lisbeth spürt, wie sich die Blicke in ihren Rücken
bohren. Furcht und Argwohn durchdringen ihren Mantel so ungehindert wie die
feuchtkalte Luft, schubsen sie weiter und weiter durchs Dorf. Eisiger Schlamm
sickert durch die Löcher in ihren Stiefeln, macht die Zehen taub und starr.

    Der Friedhof liegt zu Füßen der Dorfkirche, die mächtig
und wie eine Burg, von Stützmauern gesäumt, in den Himmel ragt. Die Glocke
dröhnt, der Pfarrer stapft durch die Pfützen zum Kopfende des schmalen
Erdlochs, das die Totengräber vorbereitet haben. Lisbeth blickt hinauf zum Glockenturm,
wo zierlich gemauerte Fensterchen den Koloss aus Sandstein verjüngen und wie
Stufen in den Himmel führen. Dort hinauf wird er niemals gelangen, der Ochsenwirt.
So viel ist gewiss.

    Der Pastor spricht von den Todsünden, die da heißen
Stolz, Habsucht, Zorn, Völlerei … Lisbeth graust es. Der Ochsenwirt war
sündig sein Lebtag!

    »Denn der Lohn der Sünde ist der Tod!«, donnert der Pastor.
»Der Lohn der Todsünde aber ist die ewige Verdammnis, wenn dem Sterbenden das
Sakrament der Buße nicht zuteil wird!«

    Was ist das, die ewige Verdammnis? Lisbeth würde es gern genauer
wissen. Kann ein ewig Verdammter nicht doch wiedergeboren werden? Als Wolf
vielleicht? Oder als Schlange? Kann er als Geist umherwandeln? Womöglich aus
den hohlen Bäumen des Reichswalds oder aus den Sümpfen entlang der
Rheinschleife kriechen? Lisbeth hat sich nie getraut nachzufragen.

    »Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub«, ruft der
Pastor und greift feierlich zur Schaufel.

    Dreck zu Dreck, denkt Lisbeth, als die nassen braunen
Krumen auf den Sarg des Ochsenwirts plumpsen, blickt wieder hinauf zum
Kirchturmdach, wo das goldene Kreuz in einen Nebelschleier getaucht ist. Nein,
nein, er wird niemals wiederkehren in die Welt! Er wird sie niemals wieder ein Trampel schimpfen, ein Aas, eine Mistsau! Er wird sie niemals mehr grün
und blau schlagen, sie nackt im Kellerloch einsperren – nie wieder! Eine
fröhliche Leichtigkeit strömt Lisbeth aus dem Herzen, drängt den Hals hinauf
wie ein tosender Strom, bricht lauthals aus ihr heraus. Lisbeth lacht. Lacht
und lacht, bis der Pfarrer innehält, die Hände ringt, sich bekreuzigt.

    »Sie hat es auch schon, das Fieber!«, kreischt eine Weiberstimme.
Und all die Leute aus dem Dorf, die in ihren schwarzen Umwürfen das Grab
umringen, sie reißen ihre Mäuler zu abgrundtiefen Löchern auf, weichen langsam vom
Grab zurück, drängen durchs Friedhofstor, laufen wie vom Teufel gejagt davon.
Bis auf den Müller aus Hommersum und den jungen Doktor aus Goch. Die eilen im
Gegenteil herbei, fangen Lisbeth auf, als tausend Sternlein sie umkreisen und
sie in Ohnmacht sinkt.

     
    »Das kommt davon, wenn man tagelang nichts isst«,
sagt der Doktor, als Lisbeth auf der Bank vor dem Wirtshaus wieder erwacht.

    »Bin ich jetzt auch – krank?«

    Der Doktor schüttelt den Kopf. Erstens sei die Ruhr nicht
wirklich ansteckend. Zweitens sei der Ochsenwirt nun einmal alt und schwach
gewesen. Lisbeths Ohnmacht, die rühre von der Anspannung der letzten Tage her,
von der gewiss tiefen Trauer. Dennoch müsse Lisbeth nun ins Bett, sagt der
Doktor und schleppt sie eigenhändig dorthin, brüht einen Sud aus grünem Hafer
und Johanniskraut und prüft, dass sie ihn artig schluckt.

    Kaum ist der Doktor aus der Tür, schlägt Lisbeth die Decke
zurück und setzt sich im Bett auf. Der nebelverhangene Mond wirft ein schwaches
Licht durch das Fenster. Lisbeth zündet die Kerze auf dem Nachttisch an, greift
nach dem Rosenkranz, der immer in der Schublade bereitliegt, fingert
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