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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition)
Autoren: Marion Poschmann
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unter Wasser, mit den Armen ein prekäres Gleichgewicht errudernd, Gang über Meeresgrund.
    Odilo war tot.
    Ein ähnlicher schwarzer Wagen war über ihm zusammengeschlagen, hatte sich mit ihm eingerollt und ihn mitgerissen in die Nacht, über die Leitplanke, einen Hang hinab. Er war angeschnallt, der Airbag hatte funktioniert, aber ab einem bestimmten Maß der Gewalteinwirkung sind die Sicherheitseinrichtungen im Innern eines Gefährtes nur noch kosmetisch. Er war nüchtern, oder jedenfalls hatte er keinen Alkohol getrunken. Er fuhr schnell, es gab keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf dieser Strecke, die er hätte unzulässigerweise überschreiten können. Es war eine dunkle Nacht, mondlos, Schichtwolken. Er fuhr ohne Licht.
    Diese Tatsache hatte mir seine Mutter am Telefon mitgeteilt. Sie berichtete die Fakten, sie wirkte gefaßt.
    Jetzt stand sie am Friedhofstor, ihre Augen glitten unstet hinter den dünnen Schleiern, die von ihrem Hut fielen und jeden fremden Blick vor ihrem Gesicht zerstreuten, in oszillierende Muster auflösten, vernichteten.
    Sie gab mir die Hand, eine schmale kühle Hand, bestecktmit mehreren klobigen Ringen, ich bemühte mich, sie nur sanft zu drücken.
    Frau Leonberger. Es tut mir sehr leid.
    Altfried.
    Ihre Stimme klang freundlich wie immer, sachlich, wie sie auch am Telefon geklungen hatte, verbindlich, als sei ich tatsächlich ein Freund der Familie und nicht nur eine hartnäckige Laune ihres Sohnes, ein nicht ganz standesgemäßer Kumpel, mit dem er sich von seinem sonstigen Leben zu entspannen pflegte.
    Altfried. Noch einmal von ihren Lippen, die in grellem Rot geschminkt waren, Signalrot, wie eine Warnung, in ihre Nähe zu kommen, ein Abstandhalter, der zu ihrem alltäglichen Erscheinungsbild gehörte, an diesem Tag aber leicht hysterisch wirkte, als sei die Lippenfarbe clownesk verschmiert, aber sie war nicht im geringsten verschmiert, vergewisserte ich mich, sie war wie sie sein sollte, wie alles an dieser Frau, sie war exakt.
    Altfried. Beschwörend, beruhigend, beschwichtigend.
    Ich weiß, daß mein Name tröstet. Ich bin benannt nach dem heiligen Altfried, Bischof von Hildesheim. Altfried, mit langem katholischen Dehnungs-E, das sich absetzt von der nordischen, heidnischen, altdeutsch-germanischen Schreibweise Altfrid, die eine Zeitlang wieder beliebter war, weil sie reckenhafter klang, kämpferischer, während in meinem Namen der Friede das entscheidende Element bildet, etwas harmlos, etwas bieder, aber seltsam tröstlich, was ich oft daran merke, daß meine Patienten dem Klang dieses Namens vertrauen und ihn manchmal mantraartig vor sich hinsprechen, obwohl es mein Vorname ist und wir uns in der Klinik mit den Patienten nicht duzen. Die Patienten sind meist darauf aus, dem Therapeuten nahezukommen, alle Grenzen, die sie überschreiten können, überschreiten sie, und die Kenntnis meines Vornamens, das Aussprechen meines Vornamens, einfach so, sinnierend, wieum ihn sich besser einzuprägen, ist eine Strategie der Machtergreifung, der Selbsterhöhung, ein typisches magisches Ritual.
    Frau Eleonore Leonberger hat mich stets beim Vornamen genannt. Ich war zwar schon volljährig, als ich Odilos Bekanntschaft machte, aber in ihren Augen noch ein Kind, etwas unbeholfen, zu dick, aus einfacheren Verhältnissen, was sie meinen Manieren, meiner Kleidung, meiner Ausdrucksweise anmerkte und was mir erst in ihrer Gegenwart zum ersten Mal bewußt geworden war. Mein Vorname aus ihrem Munde war wohl eine noble Geste, eine familiäre Zuvorkommenheit, die mich eingemeinden sollte, dennoch empfand ich es als unpassend, weit mehr als bei meinen Patienten, und in ihrem Fall wäre es mir lieber gewesen, sie hätte Herr Janich zu mir gesagt.
    Ihre Lippen verzogen sich jetzt zu einem Lächeln, ihre Augen konnte ich nicht sehen, sie wies mir den Weg zur Kapelle und begrüßte weitere Trauergäste, die mit dünnen Sohlen den Kies zum Knirschen brachten und feinen weißen Staub aufwirbelten.
    Mir schien, ich hatte während des gesamten Begräbnisses diesen hellen Staub vor Augen. Steinstaub, von schweren Schritten, vom strengen Wind hochgewirbelt, ich mußte unablässig blinzeln, um nichts in die Augen zu bekommen, und doch oder gerade deswegen tränten sie, ich sah alles verschwommen, dabei hatte ich mir vorgenommen, mich zu konfrontieren, mir den Tod genau anzusehen.
    Ein Märzmorgen, der warm zu werden versprach, die Sonne stach schon, stach um so mehr, als noch kein grünes Blatt vorhanden war, sie
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