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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel
Autoren: Kevin Powers
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Haddschi-Ärsche!« Und ich hasste das beinahe liebevolle Gefühl, das ich ihm entgegenbrachte, wenn mein Entsetzen schwand, wenn ich das Feuer erwiderte, wenn ich sah, wie auch er schoss, immer lächelnd, immer brüllend, als hätte er den gesamten Hass und die ganze Raserei dieser paar Hektar verinnerlicht, würde alles sammeln, um es danach wieder zu versprühen.
    Schließlich kamen sie, Schatten in den Fenstern. Sie tauchten hinter Gebetsteppichen auf und feuerten. Die Kugeln flogen uns um die Ohren, und wir duckten uns, hörten die Einschläge in Beton und Lehmziegeln, hörten Splitter durch die Luft sausen. Unsere Gegner rannten durch die von Schutt bedeckten Gassen, vorbei an qualmenden Blechtonnen und brennendem Plastik, dessen Fetzen über das uralte Kopfsteinpflaster wehten.
    An diesem Tag musste Sterling lange brüllen, bis ich endlich abdrückte, denn es pfiff in meinen Ohren, und die erste Kugel, die ich auf das Feld abfeuerte, schien den Lauf mit einem dumpfen Ploppen zu verlassen. Bei ihrem Einschlag wirbelte sie eine kleine Staubwolke auf, die von vielen ähnlichen Staubwolken umgeben war.
    Hunderte von Kugeln ließen den Staub auf dem Boden, zwischen Bäumen und Gebäuden aufwölken. Ein altes Auto gab seinen Geist auf. Manchmal hetzte jemand von einem Gebäude zum anderen, suchte die Deckung rostiger, weißer Autos, rannte über die Dächer, immer umgeben von kleinen Staubfontänen.
    Auf einem der Höfe ging ein Mann hinter einer niedrigen Mauer in Deckung und sah sich um, erstaunt darüber, noch am Leben zu sein, die Waffe gegen den Körper gedrückt. Einem ersten Instinkt folgend, hätte ich ihm gern zugerufen: »Du hast es geschafft, Mann, weiter so«, aber das wäre idiotisch gewesen. Kurz darauf wurde er auch von den anderen entdeckt.
    Er sah nach links, dann nach rechts, während rings um ihn der Staub aufspritzte, und ich hätte die anderen am liebsten gebeten, das Feuer einzustellen, sich zu fragen: »Was für Männer sind wir?« Ich hatte das seltsame Gefühl, aus dem Schneider zu sein, denn ich war ja kein Mann, sondern genau genommen noch ein Junge, und dieser Feind dort drüben hatte bestimmt Angst, aber das zählte nicht, denn ich hatte auch Angst, und dann wurde mir mit Entsetzen bewusst, dass ich auf ihn feuerte, dass ich nicht damit aufhören würde, bis er tot wäre, und ich war erleichtert, dass wir ihn gemeinsam erschossen, denn es war angenehmer, nicht genau zu wissen, ob man selbst der Todesschütze gewesen war.
    Doch ich wusste es. Ich hatte ihn getroffen, und er brach hinter der Mauer zusammen. Er wurde noch einmal getroffen, nun von jemand anderem, und die Kugel durchschlug seine Brust und zerschmetterte als Querschläger einen Blumentopf, der über dem Hof in einem Fenster hing. Dann wurde er ein drittes Mal getroffen und stürzte in einem merkwürdigen Winkel – rückwärts, mit gekrümmten Knien –, und ein großer Teil seines Gesichts fehlte, und rings um seine Leiche breitete sich jede Menge Blut im Staub aus.
    Auf der Straße zwischen Obstwiese und Totenacker kam ein Auto auf uns zu. Aus den hinteren Fenstern wehten zwei große, weiße Tücher. Sterling rannte zum Maschinengewehr, das auf der anderen Seite des Daches stand. Ich sah durch das Fernglas, dass ein alter Mann am Steuer saß, begleitet von einer auf der Rückbank sitzenden, ergrauten Frau.
    Sterling lachte. »Kommt ran, ihr Arschgesichter.«
    Er konnte die beiden nicht genau erkennen. Ich verspürte den Drang, ihm zuzurufen, dass es alte Leute waren, die er unbehelligt passieren lassen sollte.
    Aber da hagelten schon Kugeln rings um das Auto auf die Straße. Sie schlugen in das Blech ein.
    Ich sagte nichts, beobachtete das Auto durch das Fernglas. Die alte Frau ließ eine Gebetskette durch ihre Finger gleiten. Ihre Augen waren geschlossen.
    Mir stockte der Atem.
    Das Auto blieb mitten auf der Straße stehen, aber Sterling stellte das Feuer nicht ein. Die Kugeln durchsiebten das Auto, traten auf der anderen Seite wieder aus. Licht fiel durch die Löcher, und in diesem Licht wölkten Rauch und Staub. Die Tür ging auf, und die alte Frau fiel heraus. Sie versuchte, zum Straßenrand zu kriechen und schleppte sich ein Stück vorwärts. Ihr Blut vermengte sich mit Asche und Staub. Dann blieb sie reglos liegen.

    »Scheiße, die Schlampe ist tot«, sagte Murph. Er klang weder traurig noch wütend, weder erleichtert noch mitfühlend, sondern so verdutzt, als wäre er gerade aus einem Mittagsschlaf erwacht, würde
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