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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel
Autoren: Kevin Powers
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unter Beschuss zu nehmen, bevor wir …« Er verstummte, zog die Hand vom Gesicht und wollte eine Zigarette aus einer der Taschen unter seiner Schutzweste angeln. Ich bot ihm eine an. »Danke, Bartle«, sagte er und sah nach Süden, zur brennenden Obstwiese. »Wie lange brennt es dort schon?«
    »Sei letzter Nacht, denke ich«, sagte Murph.
    »Okay. Sie und Bartle behalten die Feuer im Auge.«
    Die Rauchsäule, die sich im Wind gekräuselt hatte, stieg jetzt als schwarzer, fließender Faden senkrecht zum Himmel auf.
    »Wo war ich stehengeblieben?« Der Lieutenant schaute abwesend über seine Schulter, hob den Blick langsam über die Mauer. »Bin ich bescheuert?«, murmelte er.
    Ein Specialist aus der zweiten Gruppe sagte: »Nur die Ruhe, Lieutenant, wir haben schon kapiert.«
    Sterling schnitt ihm das Wort ab. »Halt deine scheiß Fresse. Der Lieutenant ist fertig, wenn er sagt, dass er fertig ist, du Sackgesicht.«
    Es war mir damals nicht klar, aber Sterling wusste genau, wie weit er beim Lieutenant gehen konnte, ohne die Disziplin der Truppe zu gefährden. Es war ihm gleich, dass wir ihn hassten. Er wusste, was notwendig war. Er lächelte mich an, und seine geraden, weißen Zähne reflektierten das frühe Sonnenlicht. »Sie sagten gerade, Sir, dass sie hoffentlich zu viel Schiss haben, um uns groß unter Beschuss zu nehmen, bevor …« Der Lieutenant öffnete den Mund, um seinen Satz zu beenden, aber Sterling fuhr fort: »Bevor wir diese scheiß Haddschis abgeknallt haben.«
    Der Lieutenant nickte, drehte sich um und lief geduckt ins Haus zurück. Wir krochen auf unsere Positionen und warteten. In Al Tafar brannte es überall, hinter Mauern und in Gassen. Der dichte, schwarze Rauch Hunderter Brände schien sich zu vereinen und als hohe Wolke zum Himmel aufzusteigen.
    Hinter uns sammelte die Sonne ihre Kraft, stieg im Osten auf, wärmte meinen Hemdkragen und brannte den Schweiß, der verkrustet auf Nacken und Armen lag, in den Stoff ein. Ich wandte mich um, blickte direkt in die Sonne. Ich musste die Augen schließen, aber ich sah sie trotzdem, ein weißes Loch im Schwarz. Dann drehte ich mich wieder nach Westen und öffnete die Augen.
    Zwei Minarette, die immer wieder vom Rauch verschluckt wurden, reckten sich wie Arme über den staubigen Häusern. An diesem Morgen erklang kein Gesang, der Adhan blieb aus. Der Flüchtlingsstrom, der sich seit vier Tagen aus der Stadt ergoss, war nur noch ein Rinnsal. Nur ein paar Greise, die sich auf abgewetzte Zedernholzstöcke stützten, schlurften zwischen Obstwiese und Totenacker dahin. Sie wurden von zwei verhärmten, nach ihren Hacken schnappenden Hunden umtänzelt, die vor den Stockschlägen immer nur kurz zurückwichen.
    Dann brach es wieder über uns herein. Ringsumher ertönten die heulenden Harmonien der Mörser. Obwohl wir seit Monaten damit lebten, stand dem ganzen Zug die blanke Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Wir starrten einander an, umklammerten das Gewehr. An diesem Septembermorgen war der Himmel über Al Tafar nicht bewölkt. Der ganze Krieg schien sich auf dieses winzige Gebiet zu konzentrieren, und ich weiß noch, dass ich das Gefühl hatte, am ersten warmen Frühlingstag in einen kalten Fluss gesprungen zu sein, japsend und verängstigt und nur mit einer Wahl – der, zu schwimmen.
    »Feindliches Feuer!«
    Wir bewegten uns mechanisch, warfen uns lang hin, verschränkten die Finger hinter dem Kopf, rissen den Mund auf, um den Druck auszugleichen.
    Dann hallten die Detonationen durch den Morgen. Ich hob den Kopf erst wieder, nachdem die letzte verklungen war, warf einen Blick über die Mauer. Mehrere Männer riefen: »Luft ist rein!« Und: »Alles klar!«
    »Bartle?«, fragte Murph.
    »Alles klar, alles klar«, antwortete ich leise. Mein Atem ging schwer. Die Mörsergranaten hatten frische Wunden in das Feld gerissen, die Leichen neuerlich verstümmelt, mehrere Zedern entwurzelt. Sterling rannte zur Luke im Dach und brüllte dem Lieutenant zu: »Raufkommen, Sir.« Dann kroch er von einem zum anderen, gab jedem von uns einen Klaps gegen den Helm. »Fertigmachen, Sackgesichter«, sagte er.
    Ich hasste ihn. Ich hasste ihn, weil er ein Meister des Todes und der Brutalität war und alle unter seiner Knute hatte. Und ich hasste ihn noch mehr, weil er unverzichtbar war, weil er mich sogar dann aus meiner Erstarrung reißen konnte, wenn der Feind mich töten wollte, weil ich mich wie ein Feigling fühlte, bis er mir ins Ohr brüllte: »Knall sie ab, die
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