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Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
Autoren: Robin Sloan
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verleihen – kommt sie einem vollkommen normal vor. Anstatt also auf die verbotenen Regale zu stieren, verbringe ich meine Zeit damit, über die Kunden zu schreiben.
    In meiner ersten Nacht hat mir Penumbra unten im Schreibtisch ein kleines Regal gezeigt, in dem aneinandergereiht ein Satz übergroßer ledergebundener Folianten steht, die bis auf ihre leuchtenden römischen Ziffern auf den Buchrücken alle identisch sind. »Unsere Logbücher«, hat er gesagt und seine Finger über die Reihe gleiten lassen, »die fast ein ganzes Jahrhundert zurückgehen.« Er hat sich den äußersten rechten Band herausgegriffen und ihn mit einem dumpfen Rums auf den Schreibtisch gewuchtet. »Von nun an wirst du mithelfen, sie weiterzuführen.« Der Einband des Logbuchs trug das tief eingeprägte Wort N ARRATIO und ein Symbol – das Symbol aus dem Schaufenster. Zwei Hände, geöffnet wie ein Buch.
    »Schlag es auf«, hat Penumbra gesagt.
    Die Seiten im Inneren waren breit und grau und von Hand mit dunklen Buchstaben vollgeschrieben. Es gab auch Skizzen: Miniaturporträts von Männern mit Bärten, dichte geo metrische Kritzeleien. Penumbra hat die Seiten hochgestemmt und die von einem Lesezeichen markierte Stelle etwa in der Mitte gefunden, wo die Schrift endete. »Du notierst die Namen, die Uhrzeit und die Titel«, hat er gesagt und auf die Seite getippt, »aber auch, wie gesagt, das Verhalten und die äußere Erscheinung. Wir führen über jedes Mitglied Buch und über jeden Kunden, der vielleicht einmal Mitglied wird, damit wir ihre Arbeit verfolgen können.« Dann hielt er inne und fügte hinzu: »Manche von ihnen arbeiten wirklich sehr schwer.«
    »Was tun sie?«
    »Mein Junge!«, sagte er und sah mich erstaunt an, als könne nichts offensichtlicher sein: »Sie lesen.«
    Darum tue ich mein Bestes, um auf den Seiten des Buchs mit dem Titel N ARRATIO , Nummer IX , ein klares, akkurates Protokoll dessen zu erstellen, was sich während meiner Schicht ereignet, und nur gelegentlich bringe ich einen klei nen literarischen Schnörkel an. Ich schätze, man könnte sagen, dass Regel Nummer zwei nicht ganz unumstößlich ist. Denn eins von den merkwürdigen Büchern bei Penumbra darf ich anfassen. Es ist das, das ich schreibe.
    Wenn ich Penumbra morgens sehe und wir Besuch von einem Kunden hatten, will er wissen, wie es war. Ich lese ihm dann etwas aus dem Logbuch vor, und er schenkt meinen Betrachtungen ein freundliches Nicken. Aber dann hakt er nach: »Eine beachtliche Charakterisierung Mr. Tyndalls«, sagt er. »Aber entsinnst du dich auch, ob seine Mantelknöpfe aus Perlmutt waren? Oder aus Horn? Vielleicht aus irgendeinem Metall? Kupfer?«
    Ja, okay: Es wirkt tatsächlich seltsam, dass Penumbra dieses Dossier führt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, welchem Zweck das Ganze dienen soll, weder einen guten noch einen bösen. Aber wenn Menschen ein gewisses Alter er reicht haben, hört man irgendwie auf, sie zu fragen, warum sie bestimmte Dinge tun. Es könnte gefährlich sein. Was wäre, wenn man sagt, Mr. Penumbra, warum wollen Sie wissen, wie die Mantel knöpfe von Mr. Tyndall beschaffen sind? Und er dann vielleicht verstummt und sich am Kinn kratzt und eine peinliche Pause folgt – und uns beiden klar wird, dass er sich nicht erinnern kann?
    Oder was, wenn er mich auf der Stelle rausschmeißt?
    Penumbra behält seine Meinung für sich, und die Botschaft lautet eindeutig: Mach deinen Job, stell keine Fragen. Mein Freund Aaron ist letzte Woche entlassen worden und zieht jetzt wieder bei seinen Eltern in Sacramento ein. Bei dieser wirtschaftlichen Großwetterlage ziehe ich es vor, Penumbras Grenzen nicht auszuloten. Ich brauche diesen Stuhl.
    Mr. Tyndalls Mantelknöpfe waren aus Jade.

MATROPOLIS
    U m die Buchhandlung Penumbra durchgehend geöffnet zu halten, wird der Lauf der Sonne von einem Besitzer und zwei Verkäufern dreigeteilt, und ich kriege das dunkelste Segment ab. Penumbra selbst übernimmt die Vormittage – wahrscheinlich könnte man sagen, die beste Geschäftszeit, nur dass es so etwas in diesem Laden nicht wirklich gibt. Ich meine, ein einziger Kunde gilt schon als besonderes Ereignis, und der kann ebenso gut um Mitternacht wie nachmittags um halb eins aufkreuzen.
    Darum reiche ich das Staffelholz an Penumbra weiter, erhalte es aber von Oliver Grone zurück, jener sanften Seele, die den Laden durch den Abend trägt.
    Oliver ist groß und stämmig, mit kräftigen Knochen und riesigen Füßen. Er hat welliges,
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