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Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
Autoren: Robin Sloan
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als habe er mir schon einmal mitgeteilt, dass mein Hemd brennt, und unter maßlosem Erstaunen, dass ich nicht umgehend etwas unternehme:
    »Kingslake! Schnell!«
    Die Datenbank auf dem MacPlus umfasst die regulären Bücher und die Ladenhüter gleichermaßen. Letztere sind nicht nach Titel oder Thema sortiert (haben sie überhaupt ein Thema?), darum ist die Unterstützung des Computers entscheidend. Jetzt gebe ich K-i-n-g-s-l-a-k-e ein und der Mac kurbelt langsam – Tyndall tritt von einem Bein aufs andere –, plingt und zeigt seine kryptische Antwort an. Nicht B IOGRAFIE oder G ESCHICHTE oder S CIENCE - F ICTION UND F ANTASY , son dern: 3 –13. Das sind die Ladenhüter, Gang 3, Regal 13, das sich in nur etwa dreieinhalb Metern Höhe befindet.
    »Oh, Gott sei Dank, danke, ja, Gott sei Dank«, sagt Tyndall dann ekstatisch. »Hier ist mein Buch« – er zieht irgendwo ein großes Buch hervor, möglicherweise aus seiner Hose; es ist das Exemplar, das er zurückgibt und gegen K INGSLAKE eintauscht –, »und hier ist meine Karte.« Er schiebt eine steife laminierte Karte über den Tresen, die dasselbe Symbol trägt, das auch die Schaufenster ziert. Sie trägt einen kryptischen Code, der kräftig in das dicke Papier gestanzt ist und den ich eingebe. Tyndall ist, wie immer, der mit der Glückszahl 6 WNJHY . Ich vertippe mich zweimal.
    Nachdem ich auf der Leiter wieder meine Affennummer abgezogen habe, wickle ich K INGSLAKE in braunes Papier. Dann versuche ich mich in Small Talk: »Wie läuft’s denn so diese Nacht, Mr. Tyndall?«
    »Oh, sehr gut, jetzt viel besser«, sagt er, erleichtert ausatmend, und nimmt mit zittrigen Händen das Päckchen entgegen. »Es geht voran, langsam, aber sicher! Festina lente, vielen Dank, vielen Dank!« Dann klingelt das Glöckchen ein weiteres Mal, als er eilig auf die Straße hinausläuft. Es ist ungefähr drei Uhr morgens.
    Ist es ein Buchklub? Wie wird man Mitglied? Zahlt hier jemand irgendwann auch mal Beitrag?
    So etwas frage ich mich, wenn ich allein hier sitze, nachdem Tyndall oder Lapin oder Fedorov gegangen sind. Tyndall ist wahrscheinlich der Schrägste, aber sie sind alle ziemlich schräg: alle ergrauend, besessen, anscheinend aus einer anderen Zeit oder einer anderen Welt importiert. Sie haben keine iPhones. Weder politisches Zeitgeschehen noch Popkultur kommen zur Sprache, noch sonst irgendwas, wenn man’s recht bedenkt, mit Ausnahme der Bücher. Ich halte sie definitiv für einen Klub, obgleich ich keinerlei Anhaltspunkte dafür habe, dass sie sich kennen. Jeder kommt allein und verliert kein Wort über irgendein Thema außer über das Objekt seiner momentanen verzweifelten Leidenschaft.
    Ich weiß nicht, was in diesen Büchern steht – und es gehört zu meinem Job, es nicht zu wissen. Nach dem Leitertest damals an dem Tag, als ich eingestellt wurde, stand Penumbra hinter dem großen Schreibtisch, betrachtete mich aus klaren blauen Augen und sagte:
    »An diese Arbeit sind drei, jeweils streng zu befolgende, Anforderungen geknüpft. Überleg es dir gut, bevor du sie akzeptierst. Die Angestellten dieser Buchhandlung haben sich seit fast einem Jahrhundert an diese Regeln gehalten, und ich werde nicht zulassen, dass sie jetzt gebrochen werden. Erstens: Du musst immer von Punkt 22 Uhr bis Punkt sechs Uhr hier sein. Du darfst dich nicht verspäten. Du darfst nicht früher gehen. Zweitens: Du darfst die Bücher in den Regalen nicht durchblättern, lesen oder in sonst einer Weise inspizieren. Du darfst sie den Mitgliedern holen. Mehr nicht.«
    Ich weiß, was Sie jetzt denken: Dutzende Nächte allein dort, und nie in einen der Bände gelinst? Richtig. Wer weiß, ob nicht Penumbra irgendwo eine Kamera hat. Wenn ich einen Blick riskiere und er es erfährt, bin ich gefeuert. Meine Freunde da draußen gehen massenhaft vor die Hunde; ganze Industriezweige, ganze Teile unseres Landes machen dicht. Ich habe keine Lust, in einem Zelt zu wohnen. Ich brauche diesen Job.
    Und außerdem versöhnt die dritte Regel mit der zweiten:
    »Du musst alle Transaktionen präzise protokollieren. Die Uhrzeit. Die äußere Erscheinung des Kunden. Seinen Gemüts zustand. Wie er nach einem Buch fragt. Wie er es entgegennimmt. Ob er verletzt aussieht. Ob er einen Rosmarinzweig am Hut trägt. Und so weiter.«
    Ich schätze, unter normalen Umständen würde einem diese Jobbeschreibung ziemlich gruselig vorkommen. Unter den gegebenen Umständen – mitten in der Nacht Bücher an schrullige Gelehrte
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