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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne.
Autoren: Lion Feuchtwanger
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nicht mehr gefährdet, auch wenn er ihn zum Juden macht.
      Josef ist voll Zuversicht. Er ist zweiundvierzig Jahre alt, in seiner besten Kraft. Vespasian stirbt. Kaiser wird der Mann Titus, der Josefs Freund ist. Josef wird durchsetzen, was er will, wird aus seinem Leben austilgen, was ihn stört. Wird seine »Universalgeschichte des jüdischen Volkes« schreiben, das Buch, von dem er träumt, und Justus wird schweigen und keine Einwände wissen. Auch Dorion wird er von neuem zu sich zwingen, und seinen Sohn wird er zum Juden und Weltbürger machen, zu seinem ersten Jünger und Apostel. Josef hat das Pergament mit den unordentlichen Schriftzeichen des Phineas aufgerollt. Phineas, der Grieche, der Judenhasser, ist ihm im Wege, er muß fort. Es wird schwer sein, sich ohne ihn zu behelfen. Josef hat einen Psalm geschrieben, den Psalm des Weltbürgers. Leise vor sich hin spricht er die hebräischen Verse:

    »O Jahve, gib mir mehr Ohr und mehr Auge,
Die Weite deiner Welt zu sehen und zu hören.
O Jahve, gib mir mehr Herz,
Die Vielfalt deiner Welt zu begreifen.
O Jahve, gib mir mehr Stimme,
Die Größe deiner Welt zu bekennen.

    Merkt auf, Völker, und hört gut zu, Nationen.
Spart nicht, spricht Jahve, mit dem Geist, den ich über
euch ausgoß,
    Verschwendet euch, geht die Stimme des Herrn, Denn ich speie aus denjenigen, der knausert.

    Und wer eng hält sein Herz und sein Vermögen, Von dem wende ich mein Antlitz.

    Reiße dich los von deinem Anker, spricht Jahve.
Ich liebe nicht, die im Hafen verschlammen.
Ein Greuel sind mir, die verfaulen im Gestank
ihrer Trägheit.
Ich habe dem Menschen Schenkel gegeben, ihn zu
tragen über die Erde,
Und Beine zum Laufen,
    Daß er nicht stehen bleibe wie ein Baum in seinen Wurzeln.

    Denn ein Baum hat nur eine Nahrung. Aber der Mensch nähret sich von allem,
    Was ich geschaffen habe unter dem Himmel. Ein Baum kennt immer nur das gleiche,
    Aber der Mensch hat Augen, daß er das Fremde in sich einschlinge,
    Und eine Haut, das andere zu tasten und zu schmecken.

    Lobet Gott und verschwendet euch über die Länder. Lobet Gott und vergeudet euch über die Meere.

    Ein Knecht ist, wer sich festbindet an ein einziges Land. Nicht Zion heißt das Reich, das ich euch gelobte, Sein Name heißt: Erdkreis.«

    Es sind gute Verse, sie besagen genau das, was er sagen will. Aber es sind hebräische Verse, und so, wie sie jetzt übersetzt sind, klingen sie arm und ohne Musik. Ihre Wirkung auf die Welt können sie erst tun, wenn auch im Griechischen ihre Musik mitklingt, die Musik von den Stufen des Jahve-Tempels. Als man vor nunmehr dreihundert Jahren die Heilige Schrift ins Griechische übersetzte, da arbeiteten die zweiundsiebzig Doktoren, die mit dem Werk betraut waren, unter Klausur, jeder streng abgesondert; dennoch hatte der Text eines jeden am Ende wortwörtlich übereingestimmt mit dem Text aller andern, und es war ein herrliches Werk geworden. Aber solche Wunder geschehen nicht mehr. Er findet keine zweiundsiebzig Menschen, die seinen Psalm übersetzen könnten. Er findet keinen einzigen außer, vielleicht, diesen Phineas, und Phineas müßte guten Willens sein und seine ganze Kraft daran wenden.
      Wie immer, der Psalm ist in der Welt, wenn auch in schlechtem Griechisch. Nun Titus Kaiser wird, darf es sich der Schriftsteller Flavius Josephus erlauben, wieder der Doktor Josef Ben Matthias zu sein. Er wird seine Gefühle reiner ausdrücken, tiefer, jüdischer, in schlechterem Griechisch. Er verzichtet auf Phineas, er ist fertig mit ihm. Einmal, trotzdem, wird die Stunde kommen, da alle Völker seinen Psalm verstehen.

    Der Kaiser Titus Flavius Vespasian lag am Abend dieses Tages im Schlafraum seines altmodischen Landhauses in der Nähe des Städtchens Cosa. Als er gemerkt hatte, daß es zu Ende ging, hatte er sich hierherbringen lassen auf das von der Großmutter ererbte etrurische Gut, wo er aufgewachsen war. Er liebte das bäurische, verräucherte Haus, an dem Geschlechter gebaut und immer wieder angebaut hatten. Er hatte alles unverändert gelassen, unkomfortabel und dunkel, wie es vor sechzig Jahren in seiner Knabenzeit gestanden war. Die Decke des Zimmers war niedrig, geschwärzt, die Tür des großen, fensterlosen Raumes öffnete sich weit auf den riesigen, von einer uralten Eiche überschatteten Hof, in dem sich ein Schwein mit seinen Ferkeln herumtrieb. Das breite Bett, sich nur ein paar Handhoch über den Boden erhebend, war in eine nicht hohe Nische hineingebaut, es war ein
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