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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
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Handflächen nach außen.
    »Ich weiß es nicht.«
      Ihr Zwiegespräch dauerte nur kurz und war auf ein paar knappe Gesten beschränkt.

    Die heftige Kursänderung, die er an einem bestimmten Punkt vornahm, traf sie unvorbereitet, doch ohne Widerspruch fügte sie sich willig. Jetzt war Concetta das Boot, das Schiff mit Lateinersegel. Den Bug auf dem Kopfkissen, das Heck in der Höhe, fing sie den Wind von der Bugseite her auf, der sie von einer Riesenwelle zur nächsten springen ließ und sie unaufhaltsam, ohne Kompaß und Sextant, auf die offene See trieb.

    Als am darauffolgenden Sonntag die Stunde des Kirchgangs näherrückte, stellte sie alles räkelt. Dann deutete er mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf sie.
    »Du.«
    Und kehrte den Zeigefinger gegen sich.
    »Mir.«
      Dann ballte er dieselbe Hand zur Faust, legte Daumen und Zeigefinger aneinander und ließ sie kreisen.
    »Den Schlüssel.«
      Sie schüttelte den Kopf. Den Hausschlüssel konnte sie ihm wirklich nicht geben: im Erdgeschoß wohnten die Pizzutos, im ersten Stock Donna Nunzia, die nachts kein Auge zutat. Nein, die Gefahr war einfach zu groß, daß er gesehen würde, während er die Treppe zu ihr hinaufstieg.
      Er breitete die Arme aus, legte den Kopf schräg, lächelte bitter und ließ die Arme wieder sinken.
    »Dann sag mir doch gleich, daß du mich nicht liebhast.«
      Unter ihren Füßen schien sich ein Abgrund aufzutun, und ihre Knie zitterten. Der Rosenkranz glitt ihr aus den Händen und fiel auf den Boden. Sie beugte sich hinab, um ihn aufzuheben, preßte das Kreuz ein-, zweimal lange an die Lippen und sah ihm dabei in sein einziges Auge, das zu glühen schien. Das Hellblau verwandelte sich in ein flammendes Rot.
    »Aber was sagst du da? Ich hätte dich am liebsten gekreuzigt vor mir, um dich überall zu küssen, wie Magdalena es mit dem Jesus getan hat.«
    Am dritten Sonntag beim Gottesdienst legte er Zeige- und Mittelfinger aneinander und deutete damit gegen seine Brust.
    »Ich.«
    Mit den zwei Fingern ahmte er einen Gehenden nach.
    »Ich komme zu dir.«
      Sie preßte die Fingerspitzen aneinander, und ihre Hand nahm die Form einer ausgehöhlten Frucht an.
    »Und wie?«
      Er hob das Auge gen Himmel und verharrte eine Weile so, dann streckte er den Zeigefinger in die Höhe.
    »Vom Dach.«
      Verwundert und erschrocken zugleich bedeutete sie wieder mit zugespitzter Hand.
    »Und wie kommst du dahin?«
      Er lächelte, machte den linken Handrücken ganz steif und spazierte mit dem Zeige- und dem Mittelfinger der rechten Hand darüber.
    »Mit Hilfe eines Bretts.«
      Verdutzt sah sie ihn an. Wieder lächelte er ruhig und voller Entschlossenheit.
    Sie bildete mit dem Zeigefinger und dem Daumen einen kleinen Kreis, der eine Uhr darstellen sollte, und spitzte erneut die Finger.
    Mann, die gute Seele, erklärt, »besteht aus verschiedenen Teilen, und ganz unten in der Tiefe gibt es auch ein finsteres, stinkendes Loch, in dem sämtliche Abfälle des Schiffs landen.«
      Aber wenn das doch ein ekliger, dreckiger Ort war, warum wollte er dann mit Gewalt dort eindringen, wie er es jetzt tat?

    Schließlich hatte er an einem jener Sonntage mit dem Zeigefinger und dem Mittelfinger einen Gehenden nachgeahmt.
    »Ich komme.«
      Und ohne ihr Zeit zum Antworten zu lassen, hatte er drei Finger ausgestreckt.
    »In drei Tagen.«
      Gleich darauf hatte er die geschlossenen Fäuste aneinander gelegt und dann nach vorne hin geöffnet.
    »Offne das große Fenster, den Balkon.«
      Draußen vor der Kirche hatte sie nicht den Mut gehabt, ihrer Schwester Agatina etwas von den Unterredungen zu sagen, die sie mit dem Unbekannten Sonntag um Sonntag geführt hatte. Sie fragte nur:
      »Kennst du den jungen Mann mit dem einen meerblauen Auge, den man immer in der Kirche sieht?«
    »Ja, er gehört zur Familie der Inclima und heißt Gaspàno. Er ist nicht verheiratet.«
    Als Concetta allein war, eilte sie an das große Fenster im Schlafzimmer und sah hinaus. Sofort war ihr das kühne Vorhaben Gaspànos klar. Genau hinter dem Haus türmte sich ein großer Haufen Salz bis zum Dachgiebel, das war der Lagerbestand der Firma Capuana. Von der Spitze des Hügels aus war es nicht schwer, mit einem Brett aus vertäutem Schilfrohr den Dachsims zu erreichen und sich von da aus zum Fenster hinunterzulassen. Sie ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Doch vergeblich, ihre Speiseröhre war wie mit einem Stein verschlossen. Nach dem Mittag
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