Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
da sie sicher war, daß er sein Wort gehalten hatte und in wenigen Minuten in ihrem Zimmer stehen würde, überkamen sie Schamgefühle. Sie durfte doch nicht halbnackt wie eine Hure nur mit dem Nachthemd und nichts darunter auf dem Bett liegen! Eilig war sie aufgesprungen und hatte sich das große Moskitonetz gegen den Leib gepreßt.
    Sie hörte, wie er in die dichte Finsternis ihres Gemachs eindrang und das Fenster hinter sich schloß. Jetzt mußte er wohl auf ihr Bett zusteuern. Schon ahnte sie seine Verwunderung, wenn er sie nach langem Tasten nicht darin finden würde. Er machte sich neben dem Nachtschränkchen zu schaffen, und man hörte, wie er ein Streichholz anzündete. Durch das dichte Netz hindurch gewahrte sie erst den schwachen Schein, und als dann der zweiarmige Kerzenleuchter brannte, war das ganze Zimmer in helles Licht getaucht. In diesem Augenblick mußte sie, Concetta Riguccio verwitwete Lo Russo, feststellen, daß er vollkommen nackt war. Wann hatte er sich bloß ausgezogen? Gleich, nachdem er ins Zimmer geschlichen war, oder war er so schon übers Dach gekommen? Weiter mußte sie feststellen, daß ihm zwischen den Beinen ein dreißig Zentimeter langes hatte, vor dem Fliegennetz haltmachen, den Kerzenleuchter auf dem Boden abstellen, das Netz ergreifen und mit einem Schlag die Segel hissen. Sie, die Witwe, wußte nicht, daß sein Kompaß nicht die Augen, sondern das Gehör war. So war er einfach dem jammernden Taubengurren gefolgt, das ihr aus der Kehle drang. Jetzt kniete sie vor ihm und klappte den Mund auf und zu wie eine Meerbarbe, die sich im Netz verfangen hat.
      Doch trotz vorgeblicher Atemnot bekam die Witwe mit, wie das Ankertau seine Form veränderte und langsam zu einem steifen Bugspriet wurde. Darauf beugte er sich hinab, griff ihr wortlos unter die verschwitzten Achseln und hißte sie hoch über seinen Kopf. Sie merkte, welch schwere Last sie für sein Tauwerk geworden war; doch er hielt das Gleichgewicht und ließ sie nur ein Stück weit herab, damit sich ihre Beine auf seinem Rücken verankern konnten. Der Bugspriet hatte inzwischen noch einmal seine Form verändert: jetzt war er zu einem gewaltigen Großmast geworden, an dem die Witwe Lo Russo festgezurrt war und an dem sie bebte, flatterte, zerrte wie ein Segel im starken Wind.
    Einmal hatte ihr Ehemann eine Geschichte erzählt, die er von einem Seemann gehört hatte, der auf Walfang ausgezogen war: In den kalten Wassern des Nordens, hatte der Seefahrer gesagt, lebt ein sagenhafter Fisch, der Narwal heißt. Er ist groß wie drei Mann und trägt mitten kleinen Narwal in den Armen, dessen Horn zwar nur dreißig Zentimeter lang war, ihr aber vollauf genügte.

    Die Geschichte zwischen den beiden hatte an einem Sonntag begonnen, als sie mit ihrer Schwester Agatina zu spät zur Messe gekommen war. Die Kirche war voll, und es gab keine Spur mehr von einem jener Hocker mit Strohsitz, die der Küster gegen einen halben Tari vermietete. Sie hatten eine dichte Schar von Männern vor sich, und es wäre für sie nicht schicklich gewesen, um Verzeihung bittend da durchzugehen. Notgedrungen sahen sie den Altar nur aus einiger Entfernung.
      »Laß uns hier am Eingang bleiben«, hatte darum Agatina gesagt.
    Mit einemmal war der Flügel der Innentür aufgegangen, und er kam herein. Nie zuvor hatte Concetta ihn zu Gesicht bekommen. Doch kaum hatte sie ihn gesehen, war ihr klar, daß sie für einige Minuten die Gewalt über ihr Steuerruder verlieren würde. Schön war er, schön wie ein Engel im Paradies! Hochgewachsen, mit vielen blonden Locken, und hager war er, wie ein echtes Mannsbild sein mußte. Ein Auge war blau wie das Meer, und das andere, das rechte, fehlte. Es war unter den Augenlidern versteckt, die an der unteren Seite verklebt, ja wie zugemauert waren. Trotzdem wirkte es nicht abstoßend, im Gegenteil: das ganze Licht des verdeckten Auges erstrahlte in dem anderen, ließ es funkeln wie einen Edelstein, war hell wie erraten, denn er drehte den Kopf, bis er ihr in die Augen sehen konnte, und warf dort seinen Anker aus. Eine Minute lang starrten sie einander an, und die Minute dauerte eine Ewigkeit. Und so war die Sache abgemacht. Er drückte die Fingerspitzen der rechten Hand eng zusammen und bewegte die nach oben gewölbte Hand auf und ab. Das war eine eindeutige Frage.
    »Wie stellen wir es an?«
      Langsam löste Concetta ihre Arme vom Leib, ließ sie an den Hüften hinuntergleiten und kehrte mit betrübtem Gesichtsausdruck die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher