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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
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Ingenieur musterte einen nach dem anderen, hob den Arm und gab das Startzeichen. In Null Komma nichts waren sie auf dem Karren und brachen mit straffen Zügeln Richtung Vigàta auf. Hoffer stieß von Zeit zu Zeit in die Trompete, die er umgehängt hatte, vielleicht um Kaninchen oder Hunde in der Nähe zu warnen, gewiß keinen Christenmenschen, da zu nächtlicher Stunde und bei einem solchen Wetter keine Menschenseele unterwegs war.
    Für den allein zurückgebliebenen Gerd war es eine merkwürdige Nacht. Als er hörte, daß der Vater aus dem Haus gegangen war, stand er auf, verriegelte die Haustür und zündete sämtliche Lichter an, um alles hell zu erleuchten. Dann stellte er sich vor den Wandspiegel im Zimmer seiner Mutter (der Ingenieur und seine Gemahlin Schreibtisch, trat wieder vor den Spiegel, in dem man sich von Kopf bis Fuß sehen konnte, ergriff das Ding, das er zwischen den Beinen trug (wie hieß es wohl: Schwanz, Schwengel, Pimmel, Kolben?), und legte das Lineal an. Die mehrfach wiederholte Messung erbrachte jedesmal ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl er die Haut langgezogen hatte, bis es weh tat. Er legte das Lineal wieder weg und kehrte ins Bett zurück. Mit geschlossenen Augen begann er ein langes und ausführliches Bittgesuch an Gott zu richten, auf daß er ihm sein Ding durch ein entsprechendes Wunder so lang wachsen ließ wie das seines Banknachbarn Sarino Guastella, der genauso groß und schwer war wie er, aber eines hatte, das aus unerklärlichen Gründen viermal so lang und dick war wie das seinige.

    Als der Ingenieur und seine Männer die Lanterna-Ebene oberhalb von Vigàta erreicht hatten, mußten sie entsetzt feststellen, daß das Feuer kein Kinderspiel war und mindestens zwei große Gebäude lichterloh brannten. Während sie dastanden und schauten und der Ingenieur überlegte, von welcher Seite er wohl am besten mit dem Gerät hinunterfahren sollte, um so rasch wie möglich die Flammen zu bekämpfen, sahen sie im flackernden Widerschein des Feuers einen Mann, der bedächtig einherschritt und von Zeit zu Zeit schwankte. Seine Kleidung war angesengt, und die Haare standen ihm zu »Wo?« erwiderte der Mann freundlich.
    »Was heißt wo? In Figàta, was sein passiert?«
    »In Vigàta?«
    »Ja«, riefen alle wie aus einem Munde.
      »Dort scheint es zu brennen«, sagte der Mann und blickte, wie um sich zu versichern, aufs Dorf hinunter.
    »Aber wie ist gekommen? Wissen Sie?«
      Der Mann ließ die Arme sinken, legte sie auf dem Rücken zusammen und betrachtete seine Schuhspitzen.
    »Ja, wißt ihr das nicht?«
    »Nein. Keiner hier wissen.«
      »Ach, es heißt, der Sopran habe an einer bestimmten Stelle falsch gesungen.«
      Nach diesen Worten setzte er seinen Weg fort, und seine Hände nahmen wieder die Haltung von zuvor ein.
      »Was zum Teufel ist denn der Sopran?« fragte Tano Alletto, der Kutscher.
    »Das ist eine Frau, die singt«, erklärte Hoffer und schüttelte sich vor Staunen.
    »Ein Gespenst geht um in Europa, vor dem alle Musikanten zittern!« verkündete der Cavaliere Mistretta mit lauter Stimme und schlug mit der Hand heftig auf den kleinen Tisch. Allen Anwesenden war klar, daß mit Musikanten die Komponisten gemeint waren. Der Cavaliere handelte mit Saubohnen und war kein ausgesprochener Freund von Lektüre, doch beim Reden flackerten manchmal apokalyptische Bilder vor seinem geistigen Auge auf.
      Seine laute Stimme und der heftige Schlag ließen die Mitglieder des Bürgervereins »Familie und Fortschritt« zusammenfahren, die nach über drei Stunden hitziger Diskussionen ziemlich nervös geworden waren.
    Völlig anders hingegen war die Reaktion des Diplomlandwirts Giosuè Zito, der eine Viertelstunde zuvor eingenickt war, da er in der Nacht wegen starker Zahnschmerzen kein Auge zugetan hatte. So unsanft aus dem Schlaf geschreckt, klang ihm noch das Wort Gespenst im Ohr nach. Rasch ließ er sich auf die Knie nieder und begann, sich bekreuzigend das Glaubensbekenntnis zu beten. Das ganze Dorf wußte, daß der Landwirt drei Jahre zuvor in seinem Bauernhaus von einem Gespenst zu Tode erschreckt worden war, das ihn mit großem Kettengerassel und den verzweifelten Schreien eines zum Fegefeuer Verdammten von einem Zimmer ins andere verfolgt hatte. Als Giosuè Zito mit dem Beten zu Ende war, erhob er sich, immer noch bleich wie ein Leichnam, und richtete »Sie, mein Lieber, wissen einen feuchten Kehricht.«
    »Was fällt Ihnen ein?«
      »Mir fällt das ein, was mir dabei
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