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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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erinnerten, daß der Winter noch geduldig in einer Ecke lauerte, ohne Abschied nehmen zu wollen. Bodenfrost verformte die ersten zarten Triebe zu eisigen Stacheln, die unter den Tritten der Männer zermalmt wurden. Tsch, tsch, tsch – bei jedem Schritt knirschte es verräterisch laut. Und doch war gerade diese klare Märznacht für das Vorhaben der Männer gewählt worden. Denn sie spendete blauweißes Mondlicht, teilte die Landschaft in Licht und Schatten und zeigte den Männern auch ohne Fackeln den sicheren Weg zu ihrem Treffpunkt, der ein gutes Stück außerhalb des Dorfes lag: der alte Friedhof.
    Während der letzten Schritte war Jergs Atem immer flacher und schneller geworden. Bei jedem noch so leisen Geräusch hielt er unwillkürlich die Luft an. Sein Kopf schwirrte, und er hatte das Gefühl, daß seine Brust in der beißenden Kälte zerbersten würde. Dabei war er sich nicht sicher, was ihm mehr Angst machte: die Tatsache, bei Vollmond diesen Ort der Toten aufzusuchen, oder der Grund für sein Hiersein. Langsam nahm er einen tiefen Zug kalte Winterluft.
    Zwischen den Gräbern konnte er eine Gruppe von Männern erkennen, die sich in einem Kreis versammelt hatten. Vermummte Gestalten, von denen teilweise nur ein tiefliegendes Augenpaar zu sehen war. Die meisten trugen tief in die Stirn gezogene Mützen, und um den Hals hatten sie schwere Tücher geschlungen, in denen Kinn und Mundpartie verschwanden. Ob sie sich nur vor der Kälte schützen oder vielmehr nicht erkannt werden wollten, konnte in dieser Nacht keiner mit Gewißheit sagen.
    Gesprochen wurde nicht viel, während die Männer darauf warteten, daß ihre Runde vollzählig wurde. Das Eintreffen der Neuankömmlinge wurde von einigen lediglich mit einem Kopfnicken zur Kenntnis genommen, die meisten blickten jedoch angestrengt auf ihre Fußspitzen oder scharrten Muster in den frostig-weißen Boden.
    Verstohlen schaute Jerg sich um. Er versuchte, unter den Anwesenden ein bekanntes Gesicht auszumachen, ohne dabei wie ein neugieriges Waschweib auszusehen. Der eine da, war das nicht der Hufschmied aus dem Nachbarort, mit dem er schon des öfteren getrunken hatte? Als er versuchte, Blickkontakt aufzunehmen, wich ihm sein Gegenüber aus. Wenn er es wäre, tät’ er sich doch wahrscheinlich zu erkennen geben, oder? Mit diesem Gedanken gab Jerg seinen Versuch schließlich auf. Obwohl Stefan, sein Nachbar, ihm auf dem Hinmarsch das ungeschriebene Gesetz der Gruppe erklärt hatte, das besagte, daß jedes Mitglied nur ein paar Kontaktleute kennen durfte und man ansonsten auch untereinander unerkannt blieb, wollte Jerg der Sinn dieser Regelung nicht so ganz einleuchten. Sicher, im Falle eines Verrates aus den eigenen Reihen konnte der Verräter nicht viel Schaden anrichten, wenn er keine Namen kannte. Aber wer dachte denn schon an so was! Jerg hatte nachgezählt. Zwölf waren sie an der Zahl. Ein glattes Dutzend, das sich heute an dieser gespenstischen Stätte eingefunden hatte. Ob das ein gutes Zeichen war?
    Der alte Friedhof war nicht gerade der Ort, den Jerg von sich aus in einer kalten, mondhellen Nacht aufgesucht hätte. Doch genau das war der Grund, weshalb dieser Ort als Treffpunkt gewählt worden war: Hier war man vor zufällig vorbeikommenden Wanderern sicher, jemand mußte schon einen besonderen Grund haben, um hierher zu kommen.
    Blickte man angestrengt genug in die Dunkelheit, gaben sich schemenhafte Konturen zu erkennen. Viele Geister tanzten hier ihren schaurigen Totentanz. Jergs Gedankenwurden jäh unterbrochen, denn wie aus dem Nichts war auf einmal ein großer, hagerer Mann erschienen. Plötzlich war die Stimmung wie aufgeheizt, die Stumpfheit, die noch Minuten vorher alle bestimmt hatte, wie weggezaubert. Aus dem Haufen gebückter Gestalten, die wie geprügelte Hunde zitternd in der Kälte gestanden hatten, waren plötzlich Männer geworden, denen man ansah, daß sie Rückgrat besaßen, und denen Mut und Tatkraft ins Gesicht geschrieben standen.
    Um Jergs Mund spielte ein zufriedenes Lächeln. So hatte er sich die Geheimbundler vorgestellt! Insgeheim war er beim Anblick der zerlumpten Truppe etwas ernüchtert gewesen. Er hatte sich die Mitglieder des Armen Konrad als breitschultrige, heldenhafte Mannsbilder vorgestellt, die Gestalten auf dem alten Friedhof hatten jedoch keinen Deut anders als Hinz und Kunz ausgesehen: abgemagert, krank und müde. Doch jetzt wich seine anfängliche Enttäuschung einer erwartungsvollen Spannung.
    »Tut mir leid, daß
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