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Die sieben Häupter

Die sieben Häupter

Titel: Die sieben Häupter
Autoren: Tanja Belinda; Kinkel Richard; Rodik Ruben; Dübell Malachy; Wickenhäuser Mani; Hyde Tessa; Beckmann Horst; Korber Helga; Bosetzky Titus; Glaesener Rebecca; Müller Guido; Gablé Dieckmann
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Aufmerksamkeit gewidmet, und so war Ludgers Kindheit eben meist eine einsame gewesen. Nicht, daß er seinem Onkel Eike irgend etwas vorwerfen würde, im Gegenteil. Aber er hegte immer die Hoffnung, daß sie sich vielleicht jetzt, da er selbst erwachsen war, näherkommen könnten, denn das Interesse an Rechtsgebräuchen und am geschriebenen Wort war ihnen gemein. Doch der Onkel war auf unbestimmte Zeit nach Repgow zurückgekehrt, um in Ruhe an der deutschen Übersetzung seines Sachsenspiegel zu arbeiten. Ludgers Angebot, ihn zu begleiten und ihm bei dieser schwierigen Aufgabe zu helfen, hatte der Onkel mit einem zerstreuten Kopfschütteln abgelehnt. »Nein, nein. Du bleibst hier, mein Junge. Tu das, was Kerle in deinem Alter heutzutage üblicherweise machen: Such dir eine Frau, die du anbeten kannst, und schreib ihr Verse.«
    Ludger gestattete sich einen tiefen Seufzer und ein kleines, wehmütiges Lächeln. Wie immer hatte er getan, was sein Onkel ihm aufgetragen hatte. Er hegte allerdings Zweifel, daßEike von Repgow besonders erbaut wäre, sollte er je die Einzelheiten erfahren …
    Anhalt war eine eher unbedeutende, nicht sehr große Anlage im östlichen Harz; der eigentliche Stammsitz der gräflichen Familie lag in Aschersleben. Doch Markgraf Albrecht »der Bär«, der Graf Heinrichs Großvater gewesen war, hatte solchen Gefallen an Anhalt gefunden, daß er die geschleifte Burg wieder aufbauen ließ, und zwar aus Backstein. Anfangs war seine »Ziegelfestung« vielerorts belächelt worden, aber inzwischen waren die Spötter verstummt. Denn während ihre eigenen Burgen verfielen oder deren Erhalt ihr Vermögen verschlang, stand Burg Anhalt nach mehr als fünfzig Jahren immer noch, hatte in diesen unruhigen, gesetzlosen Zeiten manchem Ansturm getrotzt und war obendrein hübsch anzusehen. Von all den vielen Burgen, die Graf Heinrich besaß, mochte Ludger diese am liebsten, und er war froh, daß der Haushalt das diesjährige Osterfest hier verbrachte. Die Fenster der großen Halle, wo man sich eine Stunde nach dem Hochamt zum Ostermahl versammelte, waren nicht groß, aber zahlreich, und das helle Frühlingslicht strömte herein.
    Ludger saß an seinem Platz weit unten an einem der Seitentische, blinzelte, so daß die Sonnenreflexion auf den silbernen Bechern und Leuchtern zu Strahlenkränzen zerfloß, und lauschte mit mäßigem Interesse seinem Tischnachbarn, der ihm, seit sie Platz genommen hatten, ohne Unterlaß von einem endlosen Versepos vorschwärmte, das er schon vor längerer Zeit verfaßt, aber noch nicht ganz fertiggestellt hatte. Der Mann kam aus dem fernen Straßburg, war auf der Durchreise und hatte auf Einladung des Grafen hier ein paar Tage haltgemacht. Ludger hätte ihn gerne nach den Städten und Landschaften im Süden befragt, denn er hatte noch nichts von der Welt gesehen und war immer erpicht auf Geschichten ausder Fremde, doch der Kerl redete von nichts anderem als von Versmaßen und Reimformen und seiner verworrenen, unvollendeten Geschichte, in der sämtliche Frauen Isolde zu heißen schienen. Ludger langweilte sich bald und sehnte den ersten Gang herbei. Nach vierzig Tagen Fastenzeit konnte er sich kaum noch erinnern, wie Fleisch, Eier und Butter schmeckten.
    Endlich erschien der Graf mit seiner Familie. Heinrich blieb einen Moment hinter seinem thronartigen Sessel auf der Estrade stehen, um den Haushalt und seine Gäste zu begrüßen und ihnen ein gesegnetes Osterfest zu wünschen. Ludger betrachtete ihn, wie immer hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Argwohn. Heinrich von Anhalt war kein junger Mann mehr, er mußte gewiß über fünfzig sein. Er war groß von Gestalt und – ganz im Gegensatz zu seinem Erstgeborenen – geradezu hager. Haar und Bart waren dunkel und von Silberfäden durchzogen, und er trug ein wadenlanges Gewand aus mitternachtsblauem Seidendamast, das seine natürliche Würde betonte. Seine langfingrigen Hände waren zu einer einladenden Geste erhoben, das huldvolle Lächeln wirkte natürlich, doch ebenso routiniert. Und es erreichte die Augen nicht, die so wässrig blau waren wie die seines Sohnes. Ludger wußte einfach nie, was er von diesem Mann zu halten hatte. Heinrich war stets freundlich zu ihm, von geradezu erlesener Höflichkeit. Aber Ludger konnte das Gefühl nicht abschütteln, daß dies nur eine Maske war, hinter die er noch nie geschaut hatte. Er schämte sich dieses Verdachtes, denn Graf Heinrich hatte ihn willig in seinen Haushalt aufgenommen und ihm
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