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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Stimme wie seine Kleider und selbst die Augen waren von einem
     unbestimmten Ton zwischen Grau und Schwarz. »Es fing damit an, mein
     Lord, dass heute Morgen der Kanonier des Theaters plötzlich
     erkrankte. Sein Ersatzmann scheint die Kanone mit loser Watte gefüllt
     zu haben. Fast drängt sich der Verdacht auf, die Watte wäre mit
     Pech getränkt gewesen.« Sein Mund zuckte. Ein verschlagenes Lächeln
     vielleicht.
    »Sprich weiter.«
     Northampton wedelte ungeduldig mit der Hand.
    »Das Stück, das
     sie am Nachmittag zeigten, war relativ neu: Heinrich VIII‹.«
    »Der große Harry«,
     murmelte Suffolk, der mit einer Hand im Wasser spielte. »Unserer
     alten Königin Vater. Gefährliches Terrain.«
    »In vielen Beziehungen,
     mein Lord«, sagte Seyton. »Das Stück ist ein wahrer
     Karneval der Effekte, sogar ein echter Kanonenschuss kommt darin vor. Als
     die Kanone gezündet wurde, war das Publikum vom Spektakel so in den
     Bann geschlagen, dass keiner die Funken bemerkte, die auf dem Dach
     landeten. Bis jemand den Rauch roch, stand das Stroh längst in hellen
     Flammen, und es blieb nichts als die Flucht.«
    »Opfer?«
    »Zwei Verletzte.«
     Mit blitzenden Augen sah er Theo an. »Ein Mann namens Shelton.«
    Theo erbleichte. »Wie?«,
     stammelte er. »Wie schwer verletzt?«
    »Verbrennungen. Nichts
     Schlimmes. Aber aufsehenerregend. Von meinem Posten - einem sehr guten,
     wenn ich sagen darf - konnte ich sehen, wie er das Kommando übernahm
     und die Flucht aus dem Gebäude organisierte. Doch als vermeintlich
     alle in Sicherheit waren, tauchte plötzlich
     ein kleines Mädchen in einem der oberen Ränge auf. Ein hübsches
     Ding mit dunklem Haar und wilden Augen. Ein Hexenkind, wenn es je eins
     gab.
    Bevor man ihn aufhalten
     konnte, war Mr Shelton in den Flammen verschwunden. Minuten vergingen, und
     die Menge heulte schon, doch dann trat er mit dem Kind im Arm durch den
     Feuervorhang. Sein Rücken stand bereits in Flammen. Eine Hure löschte
     ihn mit einem Fass Ale, worauf er ein zweites Mal verschwand, diesmal in
     einer Dampfwolke. Seine Hosen waren verkohlt, doch wundersamerweise kam
     der Mann mit leichten Brandwunden davon.«
    »Wo ist er jetzt?«,
     rief Theo. »Warum habt Ihr ihn nicht mitgebracht?«
    »Ich kenne den Mann
     kaum, Mylord«, verteidigte sich Seyton. »Außerdem ist er
     der Held der Stunde. Es wäre mir nie gelungen, ihn unbemerkt aus der
     Menge zu lotsen.«
    Northampton bedachte seinen
     Großneffen mit einem verächtlichen Blick, dann beugte er sich
     vor. »Und das Kind?«
    »Bewusstlos.«
    »Bedauerlich«,
     sagte der alte Graf. »Aber Kinder können überraschend
     stark sein.« Er tauschte eine wortlose Botschaft mit seinem Diener.
     »Vielleicht überlebt sie.«
    »Vielleicht«,
     sagte Seyton.
    Northampton richtete sich
     auf. »Und der Kanonier?«
    Wieder kräuselte sich
     Seytons Mund zum Schatten eines Lächelns. »Von ihm fehlt jede
     Spur.«
    Northamptons Gesicht zeigte
     keine Veränderung, doch es ging eine düstere Zufriedenheit von
     ihm aus.
    »Das Wichtigste ist das
     Theater«, sagte Suffolk.
    Seyton seufzte. »Ein
     Totalverlust, Mylord. Mit dem Bühnenhaus im Rücken wird das
     Theater von den Lagern umringt, mit allen Kostümen und Gewändern,
     Folienjuwelen, Holzschwertern und Schildern -dem ganzen Besitz der Truppe.
     Alles ist hin. John Heminges stand auf der Straße und flennte um
     seinen süßen Palast, seine Konten und vor allem seine Textbücher.
     Die King’s Men, Mylords, sind heimatlos.«
    Mit einem Mal erhob sich
     über dem Wasser ein großes Brüllen himmelwärts. Was
     von dem Schauspielhaus übrig war, stürzte in sich zusammen. Zurück
     blieb ein Haufen Asche und glühender Kohle. Über das Wasser zog
     ein Schwall heißer Luft und blies ein Rußgestöber vor
     sich her.
    Theo juchzte triumphierend.
     Sein Vater führ sich bedächtig durch Haar und Bart. »Mr
     Shakespeare wird es nie wieder wagen, sich über die Howards lustig zu
     machen.«
    »Nicht in Eurem und
     nicht in meinem Leben«, sagte Northampton. Als sein Profil vor dem
     Feuer aufleuchtete - schwere Schlupflider über undurchdringlichen
     Augen, die Hakennase vom Alter geschärft -, sah er aus wie das in
     schwarzen Marmor gehauene Götzenbild eines dämonischen Gottes.
     »Nie ist eine sehr lange Zeit.«

 
    ERSTER AKT
    _________________________

 
    1
    29. Juni 2004
    Wir alle werden von Geistern
     verfolgt. Nicht von Poltergeistern oder weißen Frauen, kopflosen
    
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