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Die Seelenzauberin

Die Seelenzauberin

Titel: Die Seelenzauberin
Autoren: Celia Friedman
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Also ließen sie riesige Türme bauen, einen größer als den anderen. Die Türme wurden so hoch, dass sie mit der Spitze die Wolken berührten, und die Könige erklärten: »Sehet! Die Götter selbst legen Zeugnis ab für unsere Größe.« Dennoch hörten sie nicht auf zu bauen, denn jeder König wollte, dass sein Turm der größte und prächtigste von allen sei.

    Und jeder Herrscher ließ aus den feinsten Seidenstoffen in seinem ganzen Reiche Fahnen nähen und an seinen Turm hängen. Die Außenmauern wurden mit Gold und Silber verkleidet und mit funkelnden Edelsteinen geschmückt, und von den oberen Balkonen sollten die besten Musikanten nicht nur von morgens bis abends, sondern auch die ganze Nacht hindurch ihre Lieder erschallen lassen, auf dass jeder Untertan, der aus dem Schlaf erwachte, die Weisen höre und an die Größe seines Königs erinnert werde.

    Und die Felder der Ersten Könige lagen brach, denn es mangelte an Knechten, sie zu bestellen; und die Herden der Ersten Könige verhungerten, denn es mangelte an Hirten, sie zu füttern.

    Und der Schöpfer schaute vom Himmel herab, beobachtete das Treiben der Ersten Könige und sah, wie sie in ihrer Vermessenheit das Land verwüsteten.

    Und Er sprach: »Genug!«

    Das Buch der Buße
    Die Sünden 7:15-19

Kapitel 1
    Am Nachmittag war es im Bergwald kühl gewesen, und man brauchte keine Zauberkräfte, um eine frostige Nacht vorauszusagen. Nach Westen hin brannte die Sommerhitze unerbittlich auf die weiten Ebenen nieder, über viele Morgen verdorrten die Felder, dort stiegen Staubwolken zum Abendhimmel empor und färbten ihn rostrot. Aber hier in den Bergen war man wie in einer anderen Welt: Im kühlen, würzig duftenden Schatten der Kiefern verging selbst im tiefsten Sommer kaum ein Abend ohne eine kühlende Brise, und der heutige war keine Ausnahme.
    Beide Monde standen jetzt am Himmel, eine schmale Sichel im Westen und eine fast volle Scheibe dicht über dem Horizont im Osten; ihr Licht fiel durch die dichten Äste und zeichnete Schattenflecken auf den Boden. Friedlich. Zeitlos. Aethanus sammelte Canthus-Blätter. Er hielt ein paar Minuten inne und beobachtete, wie die Schatten langsam ostwärts krochen, bevor er die Suche fortsetzte. Mit wachsender Dunkelheit wurde die Sicht schlechter, und er war kurz in Versuchung, etwas Licht zu beschwören, um sich die Arbeit zu erleichtern. Doch diese Anwandlung ging rasch vorüber. Früher hätte er so etwas getan, ohne darüber nachzudenken, heute hingegen nicht mehr. Eine Lampe anzuzünden war viel weniger aufwendig, und niemand brauchte dafür zu sterben.
    Der scharfe Minzgeruch der Pflanze erfüllte die Lichtung. Seltsam, wie viel Freude ein solcher Duft bereiten konnte , dachte er. Einst hatte er alle Macht, allen Reichtum besessen, die sich Morati-Menschen nur erträumen konnten … doch nichts von alledem hatte ihn so befriedigt wie dieser einfache Geruch und der tiefe Friede eines Abends in den Bergen.
    Endlich hatte er so viel gesammelt, wie er tragen konnte. Er erhob sich, reckte sich und kehrte im schwachen Schein der Laterne zu seinem Haus zurück.
    Die Frau lag schon seit vielen Tagen auf einem Notbett in der hintersten Ecke seines Häuschens und schlief. Er hatte ihre gebrochenen Knochen mittels der Verfahren der Morati sorgfältig eingerichtet – mit Zauberei hätte er die Verletzungen natürlich schneller heilen können, aber er verabscheute jegliche Verschwendung. Außerdem hielt er es für lehrreich, wenn seine junge Schülerin ihre Heilung so langsam und unter Schmerzen erlebte wie eine Morata. Vielleicht lernte sie dadurch, vorsichtiger zu sein.
    Wenn es bei ihr nur jemals so einfach wäre , dachte er zynisch.
    Als er vorbeiging, um ein paar frische Canthus-Blätter in den Teekessel über dem Feuer zu werfen, bemerkte er, dass sie ihre Lage verändert hatte. Dann sah er, dass eine der Binden, die er um ihren Arm gewickelt hatte, so sauber wie mit einem scharfen Messer in der Mitte durchtrennt worden war, um das Glied freizulegen; der Bluterguss war verschwunden, und der gebrochene Knochen schien wieder heil zu sein. Sie war also aufgewacht, während er sich draußen aufgehalten hatte, zumindest für ein paar Minuten, und sie war so weit bei klarem Verstand gewesen, dass sie Zauberei einsetzen konnte. Das hieß wahrscheinlich, dass alle ihre Knochen wieder ganz und auch alle anderen Spuren der beinahe tödlichen Konfrontation getilgt waren. Geduld war offensichtlich nie ihre Stärke gewesen.
    Er
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