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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Weigand
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hast du die Künste der Medicin genugsam studirt; du wirst sie in deiner Heymatstadt wol anzuwenden wißen. Deine Mutter hat deiner lang genug entbehrt, sie wirdt dich nun brauchen. Und wenn Got will, so lässet er mich in seiner Gnadt noch so langk am Leben, daß ich dich zum Abschiedt segnen kann.
Geschriben mit eigner Handt von deinem guthen Vater Apollonius Weinmann, Doctor der Medicin zu Bambergk am Grünen Markt, den 2. Juley anno 1626«
    Cornelius faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn zurück in den Lederbeutel. Das Papier war schon ganz abgegriffen und begann an den Bruchstellen auseinanderzufallen, so oft hatte er es unterwegs hervorgezogen und gelesen. Drei Tage nach dem Erhalt des Schreibens hatte er sich von Bologna, wo er ein Studium der Anatomie absolvierte, aufgemacht, immer in der Hoffnung, seinen Vater noch lebend anzutreffen. Bei Regen und Gewittersturm hatte er die Alpen überquert, hatte sich und seinem Pferd keinen Tag Rast gegönnt.

    Cornelius zügelte seine Stute, als der Torwart grüßend seine Pike hob und ihn ansprach.
    »Euren Namen, Fremder, woher des Wegs und wohin in Bamberg?«
    »Cornelius Weinmann, Doktor der Medizin und Bürger dieser Stadt. Ich kehre vom Studium in Italien zurück.«
    Der Wächter senkte seinen Spieß und nickte ehrerbietig. »Willkommen daheim, Herr. Ein studierter Arzt ist immer vonnöten.«

    Cornelius ließ die Zügel lang und ritt im Zockelschritt durch die Lange Gasse. An den prunkvollen Fassaden der Bürgerhäuser ließ sich unschwer erkennen, dass dies eine der vornehmsten Straßen der Stadt war. Hier lebten Bürgermeister und Räte, reiche Handwerker und Kaufleute, wohlhabende Wirte und Rechtsgelehrte. Cornelius kannte sie alle, die Haans und Neudeckers, die Moorhaupts und Dietmayers und wie sie noch hießen. Als Stadtphysikus gehörte sein Vater zu den höchsten Kreisen, und Cornelius hatte zusammen mit den Kindern der Reichen die Lateinschule besucht.
    Während der junge Arzt den Blick schweifen ließ, stellte er fest, dass sich Bamberg seit seinem Weggang vor acht Jahren kaum verändert hatte. Alte Erinnerungen kamen wieder. Fast schon hatte er die Enge der Inselstadt vergessen, die ihre natürliche Begrenzung durch die beiden Regnitzarme fand, und auch die unauflösliche Verflechtung der Stadt mit dem Wasser, sichtbar an den vielen Brücken und Mühlen, den behäbig vorbeiziehenden Lastkähnen und den krummen Häusern der Fischer am Flussufer. Und natürlich die allgegenwärtige Dominanz der Kirche: den herrlichen, ehrfurchtgebietenden Dom auf seinem steilen Hügel, das alte Kloster am Michelsberg, wo der Heilige Otto begraben lag, die Stifte und Kirchen, die reichen Besitzungen der Domherren.
    Je näher Cornelius seinem Elternhaus kam, das am Grünen Markt lag, desto klammer wurde ihm ums Herz. Würde er seinen Vater noch lebend finden? Und seine Mutter? Ob sie inzwischen grau geworden war? Seine Zeit in der Ferne kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Die Rückkehr war ihm nicht leicht gefallen; nach einem Leben in den großen und modernen Hochburgen der Medizinkunde – Köln, Prag, Padua und Bologna – war ihm die Beschränktheit seiner beschaulichen Heimatstadt nicht gerade verlockend erschienen. Aber schließlich hatte er die Verpflichtung, sich um seine Mutter zu kümmern, und es war auch immer klar gewesen, dass er einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Nun war die Zeit gekommen.

    Das Doktorhaus war eines der kleineren Gebäude am Ende des Grünen Markts, des Hauptplatzes der Bürgerstadt. Es hatte nur zwei Stockwerke, von denen das obere ein wenig über das untere hinauskragte, und ein spitzgiebeliges, ziegelgedecktes Dach. Anders als die Nachbarhäuser war es noch ganz aus Fachwerk gebaut. Über der zweiflügeligen Haustür war auf den fränkischroten Putz das Zeichen des Arztes gemalt: ein kugeliges gelbes Harnschau-Glas in einem blauen Quadrat. Darunter konnte man die verblasste Inschrift lesen: »Ich bin ein Doctor der Artzney / an dem Harn kann ich sehen frey / was Kranckheit ein Menschn thut beladn / dem kan ich helffen mit Gotts gnadn«.
    Cornelius stieg ab, klemmte sein Bücherbündel unter den Arm und band das Pferd an dem dafür bestimmten Haken unter dem Fenster an. Dann läutete er das kleine Messingglöckchen, das so niedrig an der Wand angebracht war, dass auch Kinder, die man nach dem Arzt schickte, an den Schwengel herankamen. Die Tür ging auf. Eine hakennasige alte Magd, zahnlos wie ein Säugling,
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