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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft
Autoren: Roger R. Talbot
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sein?«, fragte die junge Frau.
    Â»Die Frage lautet: Bist du die Königin aus Die Trachinierinnen von Sophokles?«
    Â»Ich kann es werden«, erwiderte Victoria überzeugt.
    Iv lächelte. »Und wenn du es schon bist, und es nur nicht richtig zur Geltung kommt?«
    Die junge Frau wirkte betroffen.
    Â»Es ist immer eine Frage der Macht«, fuhr Madame fort. »Du kannst noch besser werden.«
    Dann sah sie ihr auf ungewohnt eindringliche Art in die Augen, und was sie nun sagte, klang beinahe wie ein Befehl: »Victoria, ab morgen wirst du dich jeden Tag pünktlich um zehn Uhr im Theater einfinden. Wir fangen mit den Grundlagen an.«

Heute

3
    Schwarzes Meer, 20 Meilen vor der Küste von Sotschi
Dienstag, 21. Dezember, 12.45 Uhr
    Dima Gusejnov schwitzte.
    Der Himmel war wolkenlos, und die Yacht glitt ruhig über das glatte Meer, wie von unsichtbaren Segeln vorangetrieben. Die milden zwölf Grad dieses sonnigen Tages wurden von der Meeresbrise abgeschwächt. Dennoch schwitzte Dima Gusejnov auf dem Deck. In weißem Anzug saß er ausgestreckt auf einem fein gearbeiteten hellen Korbliegestuhl und schwitzte. Die Halsschlagadern, die vom Kentkragen eines schwarzen Versace-Hemdes und einer lachsfarbenen Krawatte eingequetscht wurden, pulsierten.
    Eigentlich durfte er nicht schwitzen, da er doch Gavril Derzhavin, für den er die letzten zehn Jahre gearbeitet hatte, gegenübersaß. Gavril Derzhavin: ein Mann, der über Milliarden und Abermilliarden Rubel verfügte und im Zweifelsfall außerdem über freies Geleit in jedes beliebige Land der Erde.
    Aber Dima schwitzte, hier an Deck dieses raumschiffartigen Gefährts. Die hundertdreißig Meter lange B Yacht war nach dem berühmten Vorbild der Bismarck konstruiert, die man in ihrer ganzen Pracht wieder ans Licht befördert hatte. Der Bug war gepanzert wie ein Eisbrecher.
    Etwa zehn Meter von ihm entfernt lag Lena Leskov windgeschützt hinter einer Glaswand in der Sonne. Dima hatte mit Hunderten von Frauen zu tun gehabt, und jede hatte ihren Preis gehabt, aber Lena gehörte in eine andere Welt. Sie war nicht hübscher als die anderen Frauen, die in den Empfangshallen der Moskauer Luxushotels auf Gäste warteten. Aber in ihren Augen und ihrer Haltung lag etwas Unbeschreibliches. Und obwohl sie seit Jahren mit Gavril zusammen war, machte sie stets den Eindruck, zu niemandem zu gehören.
    Nicht einmal dieser Anblick konnte Dima von Gavrils tätowierten Unterarmen ablenken, die das zum Himmel gerichtete Gewehr hielten, auf der Jagd nach roten Tontauben, die in gleichmäßigen Abständen aus einem unsichtbaren Heckkatapult geschleudert wurden. Der Mann zerschoss eine nach der anderen zu roten Staubwolken, die sich sofort auflösten. Er schoss unbeirrt, zielte fantastisch.
    Nach einer endlosen Reihe von Treffern ging ein Schuss daneben, und Dima sah die Tontaube mit einem weißen Spritzer im Meer versinken. Auch die Besten begehen Fehler, dachte er, während ihm die Patronenhülse vor die Füße rollte. Kirill Rotchko, Gavrils enger Vertrauter, hob die noch rauchende Hülse auf und steckte sie in die Jackentasche, ohne einen Gedanken an seinen sündhaft teuren schwarzen Armani-Anzug zu verschwenden. Als der Sibirier sich bückte, sah Dima die beiden legendären Narben an seinem Hals. Es hieß, ein Schuss habe ihm die Luftröhre durchtrennt und seine Stimmbänder beschädigt, weshalb seine Stimme nahezu tonlos war.
    Â» Danke Kirill«, sagte Gavril.
    Für Dima war diese Stimme wie ein Messerstich in den Magen. Der Oligarch hatte noch kein einziges Wort mit ihm gesprochen, seit er die Yacht betreten hatte.
    Dima spürte den kalten Schweiß, und die Stimme blieb ihm im Hals stecken. Nicht einmal ein Schluck Kaiser, sein Lieblingscocktail − Gin, Triple sec und ein Fünftel trockener Wermut −, konnte ihn beruhigen. Er musste das Glas auf der Armlehne abstellen, denn wenn er es in der Hand behalten hätte, würden die anderen bemerken, dass er zitterte. Und er zitterte, weil er genau wusste, dass jeden ein grauenhaftes Ende erwartete, der versuchte, Gavril Derzhavin, die Nummer zwölf in der speziellen Rangfolge der Mächtigen Russlands, hereinzulegen.
    Dennoch schien es ausgeschlossen, dass man ihm auf die Schliche gekommen war: Er hatte Perfektion an den Tag gelegt. Zu genau und zu durchdacht, als dass irgendjemand sein »Nebenprojekt« bemerkt haben
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