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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman
Autoren: Claire Winter
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Voraussetzungen besessen, da sie weder Mitglied in der NSDAP war noch einflussreiche Beziehungen besaß und außerdem auch noch Tochter einer englischen Mutter war.
    »Nun, besonders viel Erfahrungen können Sie ja nicht vorweisen«, hatte Scholz daher nicht ganz zu Unrecht bemerkt. Ein ungeduldiger Ausdruck war über sein Gesicht geglitten. »Ich schlage vor, dass Sie eine Reportage schreiben – ein aktuelles Thema Ihrer Wahl, von dem Sie glauben, dass es für die Zeitung interessant sein könnte, damit ich Sie besser beurteilen kann. Dann werden wir weitersehen«, fügte er hinzu, noch bevor sie etwas hatte erwidern können. Zwei Minuten später hatte sie sich schon wieder draußen auf dem Flur wiedergefunden.
    Immerhin, es war eine echte Chance, dachte Melinda, während sie vom Prager Platz weiter in Richtung Nürnberger Straße lief. Sie hob das Kinn. Ihr musste nur ein gutes Thema einfallen. Ein paar Schneeflocken trafen ihr Gesicht. Vor ihr, zwischen zwei Trümmerhaufen, tauchte, einem Gespenst gleich, die Gestalt einer abgemagerten alten Frau auf. Sie zerrte einen Bollerwagen hinter sich her und musterte Melinda misstrauisch aus ihren unterhöhlten Augen, als glaubte sie, ihre Fundstücke vor ihr verteidigen zu müssen. Die Umrisse eines zerbrochenen Fensterrahmens und mehrere aneinandergefrorene Holzteile waren auf ihrem Wagen zu erkennen. Wahrscheinlich hatten sie einmal zu einem Stuhl oder Hocker gehört – kostbares Heizmaterial, denn an Kohle war zurzeit fast nirgends mehr heranzukommen. Melinda wandte den Blick ab. Es gab Momente wie diesen, in denen sie sich einfach nur wünschte, dieser Stadt und ihrem ganzen Elend entfliehen zu können – dem Hunger und der Kälte genauso wie den ständigen Erinnerungen an die Vergangenheit. Sie war dünnhäutig zurzeit. Ihre Nerven lagen blank. Die ständige Ungewissheit vor der Zukunft zermürbte sie. Zumal sie sich vor wenigen Tagen auch noch von ihrem Verlobten Frank getrennt hatte.
    Ihre Hände pressten die Mappe in ihren Armen unwillkürlich enger an sich, als sie die unschöne Szene wieder vor Augen hatte.
    Frank war im Herbst aus der Kriegsgefangenschaft gekommen. Sie hatten sich 1943 das letzte Mal gesehen und seitdem völlig entfremdet. Als sie sich zu Beginn des Krieges kennenlernten, hatten sie sich schnell ineinander verliebt und kurz darauf verlobt. Wenig später war Frank jedoch eingezogen worden. In den Jahren darauf hatten sie sich nur zweimal einige Tage gesehen, als er während eines kurzen Heimaturlaubs in Berlin gewesen war. Bereits damals zeichnete sich ab, dass sie sich auseinandergelebt hatten. Frank war wie besessen von der Idee zu kämpfen – Melinda hatte ihn kaum wiedererkannt. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft hatte sie gehofft, seine Veränderung wäre nur dem Krieg geschuldet und sie würden sich wieder annähern, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Leider schien Frank das ganz anders zu empfinden. Immer wieder hatte er sie zur Heirat gedrängt. Vor drei Tagen hatte er ihr schließlich ein Ultimatum gestellt, und sie hatte ihm endlich gesagt, dass sie nicht mehr an eine Zukunft für sie beide glaubte und sich trennen wollte. Es gab daraufhin einen fürchterlichen Streit, mit dem Ergebnis, dass Frank ihre Entscheidung nicht akzeptieren wollte.
    Sie musste plötzlich an den Aushang am Schwarzen Brett denken, auf den sie so lange im Flur des Telegraf gestarrt hatte.
    Kollegen für eine dreiwöchige Fortbildung und Schulung zur demokratischen Berichterstattung in London gesucht. Auf Einladung der britischen Besatzungskommandantur. Interessierte bitte in der Chefredaktion melden .
    Melinda wünschte, sie hätte sich dafür bewerben können. Nur zu gern hätte sie Berlin für einige Zeit verlassen! Obwohl ihre Mutter Engländerin war und sie mit ihr zu Hause hauptsächlich Englisch gesprochen hatte, war sie noch nie in Großbritannien gewesen. Sie dachte darüber nach, dass die Journalisten des Telegraf an der Fortbildung erstaunlicherweise nicht besonders interessiert zu sein schienen. Melinda hatte die Bemerkung zweier vorbeilaufender Redakteure mitbekommen, die sich abfällig darüber unterhielten. »Was glauben die Engländer? Dass wir von ihnen erst das Schreiben lernen müssen?«, hatte der eine von ihnen gesagt.
    Sie hatte die Nürnberger Straße erreicht. Menschen eilten mit hochgeschlagenem Mantelkragen und verfrorenen Gesichtern an ihr vorbei. Vor einem Lebensmittelladen stand eine lange Schlange bis draußen. Die
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