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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich das an!«
    Dr. Berwaldt rückte das Mikroskop zu Ilse Wagner hin. Sie verstand nicht viel von Medizin. Sie war Dr. Berwaldts Sekretärin und nahm im Stenogramm auf, was er ihr diktierte. Lange hatte sie gebraucht, bis sie die medizinischen und chemischen Fachausdrücke kannte. Die gläsernen Kolben und Retorten, die zischenden Glasschlangen und Brutschränke, die langen Reihen von Reagenzgläsern, in denen Blut- und Eiterabstriche, Zellverbände und vom Krebs zerfressene Haut- und Muskelfasern in verschieden farbigen Lösungen schwammen, vor allem aber die langen Käfige der Ratten und Mäuse in der Tierstation flößten ihr Ekel und später Schrecken ein, als sie erfuhr, wie ungeheuer giftig die Präparate waren. Einmal hatte Dr. Berwaldt ein kleines Reagenzglas hochgehalten, das mit ein paar Tropfen einer wasserhellen Flüssigkeit gefüllt war. »Damit können Sie hunderttausend Menschen unheilbar krank machen!« hatte er gesagt und das Glas in einen Panzerschrank verschlossen. Seit diesem Tag berührte Ilse Wagner nichts mehr, was auf den langen Labortischen stand.
    Auch jetzt beugte sie sich zögernd über das Okular. Sie sah in vielhundertfacher Vergrößerung merkwürdige, in einer bläulichen Flüssigkeit schwimmende, runde, bizarre und stäbchenähnliche Körper, die hin und her zuckten, als tanzten sie. Dann plötzlich hielten sie still, und es war, als trockneten sie unter einer heißen Sonne weg. Sie lösten sich einfach in der bläulichen Lösung auf, zerfielen und vergingen.
    »Wissen Sie, was Sie da beobachten, Wagnerchen?« fragte Dr. Berwaldt mit plötzlich belegter Stimme.
    »Ja –«, stotterte Ilse Wagner.
    »Das kann eine neue Zeit bedeuten!« Dr. Berwaldt lehnte sich zurück und schloß die brennenden Augen. »Wenn das da kein Einzelfall ist, wenn Gott es zuläßt … es kann die Rettung von Millionen Menschen bedeuten …«
    »Die komischen Figuren lösen sich auf …«, sagte Ilse leise.
    Dr. Berwaldt nickte mehrmals. Er legte beide Hände über die Augen und schwieg. Mein Gott, dachte er. Wenn das Wahrheit ist … wenn das keine Täuschung ist … wenn sich der Versuch immer und immer wiederholen läßt … Die Krebszellen zerfallen … Es ist einfach nicht zu fassen …
    »Los! Neue Objekte, Wagnerchen!« Dr. Berwaldt sprang auf. Die bleierne Müdigkeit fiel von ihm ab. Ich bin am Ziel, dachte er immer wieder. Ich habe selbst nie daran geglaubt … aber nun scheint es wahr zu werden. »Kommen Sie mit zu den Tieren …«
    Ilse Wagner überwand ihren Ekel und ihre Furcht. Sie lief Dr. Berwaldt in die Tierstation nach. Die Affen kreischten auf, als sie eintraten, die Ratten pfiffen widerlich und warfen sich gegen den Drahtkäfig. Nur die Meerschweinchen schliefen, dicht zusammengedrängt, ein Knäuel kleiner Pelze.
    Bis zum Morgengrauen saß Ilse Wagner schaudernd neben Dr. Berwaldt und notierte die Nummern, Abnahmestelle und die Diagnose der einzelnen entnommenen Präparate. Dr. Berwaldt arbeitete wie im Fieber. Er narkotisierte Affen und Ratten, entnahm ihnen Krebsgewebe, aus der Haut, aus den Muskeln, aus den inneren Organen, vor allem von Ratten, die er auch, bevor er sie töten mußte, vorher narkotisierte. Mit einem Objektträgerwagen voll Präparaten kehrten sie dann ins Labor zurück.
    Als die ersten Mitarbeiter gegen 8 Uhr morgens im Labor erschienen, hatte Dr. Berwaldt bereits den 32. Versuch seiner neuen Reihe vollendet. In den Brutöfen lagen die in wenigem stark verdünnte Tropfen der blauen Lösung eingelegten Krebszellen und wurden unter Körpertemperatur beobachtet. Die ersten Präparate zeigten schon nach drei Stunden deutliche Zerfallserscheinungen. Es war ein Blick in eine Zukunft, vor der die anderen Mitarbeiter Dr. Berwaldts stumm und ergriffen standen.
    Nach drei Wochen wußte man es genau: Die neue Lösung war in stärkster, mehrtausendfacher Verdünnung ein wirksames und unschädliches Mittel gegen den Zellverfall durch bestimmte Krebssorten. Es griff keine gesunden Zellen an, schädigte weder das Blut noch das Nervensystem, griff die natürlichen Körperbakterien nicht an und hatte keine Rückwirkungen auf hormonale Vorgänge. Es war, als stürzten sich die Werkstoffe lediglich auf die erkrankten, krebsbefallenen Zellen und fraßen sie einfach auf. Es bildeten sich Ödeme mit einer trüben Flüssigkeit, die man aufschnitt, die Flüssigkeit ablaufen ließ, und die schnell wieder ohne Nachwirkungen verheilten. Der Körper schwemmte die Rückstände einfach aus.
    Aber
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