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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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dich zur Polizei, auf der Stelle.« Er wagte noch nicht mal zu fluchen.
    Ich ließ ihn liegen, stand auf und wischte mir an der Hose den Sand von den Händen. Ich kickte noch eine Sandwolke auf und warf dem kleinen Malul einen letzten Blick zu, wie man eine Schlange anschaut, die man gerade zertreten hat. Erst als ich schon im Bus saß, fingen meine Beine an zu zittern.
    Ich beschloss, über den Vorfall mit seinem Bruder zu reden, auch wenn der ein Gangster war. Aber mir gegenüber nicht. Ihm würde schon was einfallen. Dann dachte ich nicht mehr an die Messergeschichte.
    Später, gerade als der Bus an »Jad wa-Schem« vorbeifuhr, dachte ich an den Shakespeare-Film, der Joli so gut gefallen hat. Vielleicht hat sie ihn auf Video aufgenommen? Vielleicht lädt sie mich mal zu sich ein, um mir den Film zu zeigen? Und wenn ich Glück habe, kann ich auch zuhören, wie sie Trompete spielt. Ich könnte ihr beim Spielen zuschauen wie damals am Tag der Erinnerung an die Nazi-Opfer und sehen, wie die Adern an ihrem langen, weißen Hals immer blauer werden und ihre Backen sich aufblähen wie zwei rosarote Bälle. Trotzdem ist sie dann schön, auch wenn ihr Gesicht ein bisschen lächerlich aussieht.
    Joli ist ein ganz besonderes Mädchen, aus vielen Gründen, aber man kann ruhig mit der Trompete anfangen. Manche Mädchen lernen Klavier spielen, andere Gitarre, aber Joli lernt Trompete spielen. Auch ihr Großvater, der sie manchmal mit seinem schwarzen Käfer von der Schule abholt, spielt Trompete. Joli hat ihn schon als kleines Kind spielen gehört. Aber sie hat sich nicht nur deshalb für dieses Instrument entschieden. Ich glaube, sie hätte es auch ohne ihren Großvater getan. Der ist auch ein besonderer Mensch. Noch nie habe ich so einen Großvater gesehen, der Trompete spielt und einen schwarzen Käfer fährt.
    Ungefähr zwei Haltestellen weiter hörte ich auf, an Joli zu denken, und sah wieder Benji vor mir. Wie er vor mir geflohen war. Wie er nicht mit mir gesprochen hatte und weitergerannt war, so schnell er konnte. Wohin kann er schon gelaufen sein, dachte ich, wenn nicht zu sich nach Hause. Aber er mag sein Zuhause nicht besonders gern. Drei Stockwerke nur für ihn und seine Eltern und mit einem großen Garten. Eigentlich ist Benji ziemlich allein dort. Nie hört man, dass jemand ihn ruft, er soll endlich reinkommen. Nie sucht jemand nach ihm, nie wird er zum Essen geholt. Zu mir kommt Benji gern. Er mag es, bei meiner Mutter in der Küche zu sitzen, Suppe zu essen, sogar mit Nachschlag, als wäre das was Tolles wie Eis oder Kuchen. Er bittet nie um was zu essen, er ist nämlich ziemlich schüchtern, aber meine Mutter füttert jeden, der ins Haus kommt, und Benji füttert sie besonders gern. Ich verstehe nicht, wie es kommt, dass er so dick ist und dabei immer hungrig. Aber vielleicht liegt es daran, dass er so viel Mist isst, wie meine Mutter immer sagt. Ihrer Meinung nach esse ich auch viel Mist, aber trotzdem bin ich nicht die Spur dick. Nicht dass ich besonders toll aussehe oder so, auf jeden Fall nicht so gut wie Nimrod, aber so dick wie Benji bin ich auch nicht.
    Nimrod ist ein Name, den ich nie ausstehen konnte, ich habe Ohrenschmerzen davon bekommen. Bis ich zum ersten Mal die Nimrod-Statue gesehen habe, beim Unterricht im Museum, und mir die Zeichenlehrerin gesagt hat, ich solle ihn abmalen. Sie sind ganz verschieden, Nimrod, die Statue, und Nimrod, der Junge. Einer ist das Gegenteil vom andern. Nicht dass ich etwas gegen Nimrod, den Jungen, habe, wirklich nicht. Obwohl ich ihn nicht ausstehen kann, gibt es nichts, was ich gegen ihn sagen könnte, er ist in Ordnung. Wirklich. Ein prima Basketballspieler, einer der besten Schüler unseres Jahrgangs, und alle Mädchen schwärmen, wie toll er aussieht und so. Aber ich kann ihn nicht ausstehen. Ich finde ihn auch nicht besonders schön. Was für ein Unterschied zwischen ihm und Nimrod, der Statue. Wenn jemand wüsste, dass ich in Joli verliebt bin, würde er bestimmt sagen, dass ich einfach eifersüchtig bin. Aber ich bin nicht eifersüchtig, wirklich nicht. Ich habe ihn schon vorher nicht leiden können, nur dass ich das nie gezeigt habe. Außerdem weiß auch niemand, dass ich in Joli verliebt bin, das zeige ich nämlich nicht. Wozu auch? Was würde das nützen? Was bin ich gegen Nimrod?
    Ich kenne ihn wirklich gut, seit wir in der fünften Klasse zusammen in der Basketballmannschaft waren. Ich habe auch seine Eltern schon gesehen. Seine Mutter sieht aus wie eine,
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