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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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beeindrucken lässt. Wenn er zu ihrem Kiosk kommt, wirft sie sofort ihren Kopf zurück, so wie er es immer macht, um seine Haare zurückzuwerfen. Kurz gesagt, sie ist eine, die alles weiß. Sie hatte auch mich und den Wachmann zusammen beobachtet, wir hatten sie sogar zum Lachen gebracht. Doch nun drängten sich viele Kinder in ihren Kiosk und sie war zu beschäftigt, um mich zu sehen.
    Ich ging wieder hinaus und lief langsam auf die Haltestelle der Linie 17 zu, die nach Ein-Kerem fährt, am anderen Ende der Stadt. Dort wohnt Benji. Um den Weg abzukürzen, überquerte ich den großen Busparkplatz. An der Ecke, neben dem großen Maulbeerbaum, sah ich einige Jungen stehen und ging hin. Sie waren von unserer Schule, sogar aus dem Viertel, und ich beschloss, sie nach Benji zu fragen. »He, sagt mal, habt ihr einen Jungen aus der dritten Klasse gesehen?«, sagte ich. »Blond und ein bisschen dick …«
    Ich deutete auf die Haltestelle auf der anderen Straßenseite, aber sie fingen an zu lachen. Sie lachten nicht wirklich, sie taten nur so, und einer von ihnen, ein Kleiner, Dunkler, der wie ein Streichholz aussah, hob den Kopf und sagte: »Schaut euch den an, der sucht sein Baby.«
    Ich weiß längst, dass man sich mit Gangstern besser nicht anlegt, auch wenn sie so klein sind wie diese, die höchstens in die sechste Klasse gehen. Vor allem legt man sich aber nicht an, wenn man wie ich hinter jemandem her ist. Aber wie sieht das aus, wenn ich jetzt ohne Antwort weggehe?, schoss es mir durch den Kopf. Also packte ich Streichholz am Kragen und hob ihn in die Luft. Ich betrachtete seine dünnen Beine, mit denen er um sich trat, und stellte meine Ohren auf Durchzug für sein Gebrüll. »Lass mich runter!«, schrie er. »Los, lass mich runter, du Blödmann!« Die drei andern erhoben sich und blieben in sicherer Entfernung stehen.
    Eine ganze Minute lang hielt ich Streichholz in der Luft, und er starrte mich hasserfüllt an, auch als ich ihn schon wieder abgestellt hatte. Doch dann machte er einen Schritt rückwärts und zog einen Gegenstand aus seiner Tasche, der in der Sonne aufblitzte.
    Ich traute meinen Augen nicht. In seiner kleinen, braunen Hand glänzte die Schneide eines richtigen Klappmessers. Die andere Hand stützte er in die Seite und sagte: »Jetzt zeig doch mal, was du kannst, du Kraftprotz, der sich an Kleineren vergreift.« Einer der drei andern, die hinter ihm standen, flüsterte laut: »Hör doch auf, Malul!« Und erst da kapierte ich, dass Streichholz der kleine Bruder von Ja’ir Malul war, der in meine Parallelklasse geht und von dem alle wissen, dass er selbst ein Gangster ist. Zweimal hat man ihn schon beim Klauen erwischt und beinahe hätte man ihn in ein Heim für jugendliche Straftäter gesteckt. Nur weil sein Vater im Stadtrat sitzt, ist er noch immer auf unserer Schule.
    Ich schaute Streichholz an und begann zu lachen. Ich wusste, dass das Lachen ein Fehler war, aber ich konnte einfach nicht aufhören. Ich glaube, ich lachte vor Schreck, vor Verblüffung, vor Nervosität und vor Panik, denn wieso hat ein Junge aus der Sechsten auf einmal ein Messer in der Hand, wie im Kino, ein richtiges Messer, das er mit in die Schule nimmt? Mein Lachen reizte ihn noch mehr und er stürzte sich auf mich, mit dem Kopf voraus, als wolle er mir das Messer in den Bauch stoßen.
    Zu meinem Glück war er klein und dünn. Mit einer schnellen Bewegung packte ich seine Hand und drückte sie mit aller Kraft. Wie im Kino ging seine Faust auf und das Messer fiel auf die Erde unter dem Baum. Wie im Kino stellte ich schnell meinen Fuß darauf, packte Streichholz an beiden Händen und warf ihn zu Boden. Dann drückte ich mein Knie auf seine Brust, zog das Messer zu mir und ohne nachzudenken warf ich es weit weg, auf die gegenüberliegende Seite des Parkplatzes.
    Die drei anderen Jungen wichen zurück und starrten uns an. Keiner bewegte sich. Der kleine Malul hatte Tränen in den Augen, ich sah, wie er sich beherrschen musste, um nicht loszuheulen. Ganz ruhig fragte ich ihn, ob er einen kleinen, blonden Dicken gesehen hätte, der zur Haltestelle gelaufen sei. Er antwortete nicht, auch die andern hielten den Mund. »Malul«, sagte ich, »ich hab dich was gefragt, es wäre besser für dich, wenn du mir antwortest.« Er tat es trotzdem nicht, sondern presste die Lippen, presste sogar die Augen zu. »Malul, wenn ich noch einmal sehe, dass du ein Messer in der Hand hast«, sagte ich und nahm mein Knie von seiner Brust, »dann bring ich
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