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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht
Autoren: Yasmina Khadra
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das Sagen haben, wird der Wille des Herrn missachtet. Es ist ungerecht, ihm die Missetaten, die allein wir Menschen verüben, anzulasten. Wer konnte dich nur so hassen, dass er deine ganze Ernte verbrannte, mein guter Issa?«
    »Gott entscheidet, welches Übel uns treffen soll«, antwortete mein Vater.
    Der Händler zuckte die Achseln:
    »Die Menschen haben Gott doch nur erfunden, um ihre Dämonen abzulenken.«
    Während mein Vater einen Fuß auf den Boden setzte, blieb ein Teil seiner Gandura am Kutschbock hängen. Auch das hielt er wieder für ein böses Omen. Sein Gesicht verdunkelte sich vor unterdrückter Wut.
    »Du fährst nach Oran?«, fragte der Händler ihn.
    »Wer hat dir das denn erzählt?«
    »Man geht immer in die Stadt, wenn man alles verloren hat … Sei nur vorsichtig, Issa. Das ist kein Ort für euch. In Oran wimmelt es nur so von Gaunern und Tagedieben, die gewissen losund gefährlicher sind als jede Kobra, verschlagener als der Böse in Person.«
    »Warum erzählst du mir diese Ammenmärchen?«, entgegnete mein Vater gereizt.
    »Weil du nicht weißt, wohin du den Fuß setzt. Auf den Städten lastet ein Fluch. Die Baraka unserer Ahnen reicht nicht so weit. Wer sich dorthin vorgewagt hat, ist niemals zurückgekommen.«
    Mein Vater hob die Hand, um seinem Geschwätz Einhalt zu gebieten.
    »Ich biete dir meinen Leiterwagen an. Die Räder und der Boden sind solide, und das Maultier ist keine vier Jahre alt. Dein Preis ist mein Preis.«
    Der Händler musterte flüchtig das Gespann.
    »Ich fürchte, ich werde dir dafür nicht viel geben können, Issa. Glaube nur ja nicht, dass ich deine Lage ausnutzen will. Aber es kommen selten Reisende hier vorbei, und ich bleibe oft auf meinen Melonen sitzen.«
    »Ich bin zufrieden mit dem, was du mir gibst.«
    »Eigentlich brauche ich gar keinen Karren und auch kein Maultier … Ich habe ein paar Sous in der Kasse. Die will ich gern mit dir teilen. Du hast mir früher, wenn Not am Mann war, oft geholfen. Dein Gespann kannst du mir getrost anvertrauen. Ich werde schon einen Käufer dafür finden. Dein Geld kannst du holen kommen, wann immer du willst. Ich rühre es nicht an.«
    Mein Vater dachte keine Sekunde über den Vorschlag nach. Er hatte keine Wahl. Er streckte zustimmend die Hand aus.
    »Du bist ein feiner Kerl, Miloud. Ich weiß, dass du nicht betrügst.«
    »Wer betrügt, betrügt am Ende immer nur sich selbst, Issa.«
    Mein Vater überließ mir zwei der Bündel, lud sich den Rest auf, steckte die paar Münzen ein, die der Händler ihm gab, und machte sich eilends auf den Rückweg zu meiner Mutter, ohne einen Blick für das, was er hinter sich ließ.
    Wirsind so lange marschiert, bis wir unsere Beine nicht mehr spürten. Die Sonne drückte uns nieder. Das grelle Licht, das die ausgedörrte, menschenleere Erde reflektierte, stach uns in die Augen. Meine Mutter schwankte hinter uns her gleich einer gespenstischen Mumie in ihrem Leichentuch und hielt nur an, um meine kleine Schwester vom rechten auf den linken Arm zu setzen. Mein Vater kümmerte sich kein bisschen um sie. Er ging aufrecht, mit unbeugsamem Schritt, und zwang uns sein Tempo auf. Ausgeschlossen, dass meine Mutter oder ich ihn hätten bitten können, ein wenig langsamer zu gehen. Ich hatte mir die Fersen in meinen Sandalen schon wund gelaufen, und mein Rachen brannte wie Feuer, doch ich hielt durch. Um Erschöpfung und Hunger zu überlisten, konzentrierte ich mich auf den dampfenden Rücken meines Erzeugers, auf die Art und Weise, wie er seine Lasten geschultert hatte, und seinen gleichmäßigen, zornigen Schritt, mit dem er den bösen Geistern Fußtritt um Fußtritt zu versetzen schien. Nicht ein Mal hat er sich umgedreht, um zu sehen, ob wir noch da waren.
    Die Sonne ging bereits unter, als wir endlich auf der »Straße der Rumis« ankamen, das heißt auf dem Asphalt. Mein Vater suchte sich einen einzelnen Olivenbaum hinter einem kleinen Hügel aus, geschützt vor neugierigen Blicken, und machte sich daran, das Dornengestrüpp ringsum zu entfernen, damit wir uns dort niederlassen konnten. Dann prüfte er noch, ob kein toter Winkel die Straße verbarg, und ließ uns erst dann unsere Bündel ablegen, als er sich davon überzeugt hatte. Meine Mutter fand für die schlafende Zahra ein Plätzchen am Fuß des Baums, breitete ein Tuch über sie und holte Topf und Kochlöffel aus ihrem Korb.
    »Heute kein Feuer«, wandte mein Vater ein. »Heute essen wir nur Dörrfleisch.«
    »Wir haben keines. Ich habe
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