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Die Schriften von Accra (German Edition)

Die Schriften von Accra (German Edition)

Titel: Die Schriften von Accra (German Edition)
Autoren: Paulo Coelho
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haben.
    Uns bleibt keine andere Wahl: Wir müssen in das Geheimnis dieser unbändigen Kraft eintauchen. Natürlich können wir einwenden: ›Ich habe schon zu viel gelitten und weiß, dass auch diese Liebe nicht von Dauer sein wird‹, und so die Liebe von der Schwelle unseres Hauses vertreiben. Doch dadurch würden wir zu lebenden Toten.
    In der Natur offenbart sich die Liebe Gottes. Was wir auch tun, er wird uns weiterlieben. Also lasst uns achten und begreifen, was die Natur uns lehrt.
    Wir lieben, weil uns die Liebe befreit. Sie bringt uns dazu, Worte auszusprechen, die wir nicht einmal uns selber zu sagen wagten.
    Sie bringt uns dazu, Entscheidungen zu treffen, die wir immer aufgeschoben hatten.
    Sie lehrt uns, nein zu sagen, ohne das Wort zu verteufeln.
    Sie lehrt uns, ja zu sagen, ohne Angst vor den Folgen zu haben.
    Sie lässt uns alles vergessen, was man uns über die Liebe beigebracht hat, denn jede Begegnung ist anders und bringt ihr eigenes Maß an Qualen und Verzückungen mit sich.
    Wir singen lauter, wenn der geliebte Mensch in weiter Ferne, und flüstern Gedichte, wenn er in der Nähe ist. Auch wenn er es nicht hört oder unserem Rufen und Flüstern keine Beachtung schenkt.
    Wir verschließen nicht unsere Augen angesichts des Universums, nur um dann zu klagen, ›wie dunkel es doch ist‹. Wir halten die Augen offen im Wissen, dass das Licht uns dazu bringen kann, unerhörte Dinge zu tun. Das gehört mit zur Liebe.
    Unser Herz ist offen für die Liebe, und wir gebenes furchtlos hin, weil wir nichts mehr zu verlieren haben.
    Doch dann entdecken wir beim Nachhausekommen, dass uns dort bereits jemand erwartet, der genau das sucht, was wir auch suchen, und mit uns die gleichen Ängste und Sehnsüchte teilt.
    Denn die Liebe ist wie Wasser, das als Wolke in den Himmel steigt und von dort aus herunterschaut – im Bewusstsein, eines Tages wieder auf die Erde zurückzukehren.
    Denn die Liebe ist wie die Wolke, die zu Regen wird und als solcher auf die Erde fällt und die Felder fruchtbar macht.
    Liebe ist nur ein Wort, bis wir zulassen, dass sie mit voller Kraft von uns Besitz ergreift.
    Liebe ist nur ein Wort, bis jemand kommt, der es mit Sinn erfüllt.
    Gib nicht auf. Gemeinhin öffnet erst der letzte Schlüssel im Schlüsselbund die Tür.«

Doch ein junger Mann hielt dem
entgegen:
»Deine Worte in Ehren, doch letztlich
haben wir keine Wahl.
Unser Schicksal wird von unseren
Lebensumständen bestimmt.«
Und ein alter Mann fügte hinzu:
»Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen
und die verpassten Gelegenheiten
nachholen.«

U nd der Kopte entgegnete:
    »Was ich nun sagen werde, mag am Vorabend der Erstürmung unserer Stadt wenig nützlich erscheinen. Dennoch notiert euch meine Worte, und bewahrt sie in eurem Herzen, damit eines Tages alle erfahren, wie wir in Jerusalem gelebt haben.«
    Der Kopte schwieg kurz und fuhr dann nachdenklich fort:
    »Niemand kann die Zeit zurückdrehen, aber alle können voranschreiten.
    Und morgen, wenn die Sonne aufgeht, braucht sich jeder nur immer wieder zu sagen:
    ›Ich werde diesen Tag so leben, als wäre er der erste meines Lebens.‹
    Ich werde die Menschen um mich herum überrascht und staunend ansehen und froh darüber sein, dass sie an meiner Seite sind und etwas mit mir teilen, von dem alle reden, das aber nur selten jemand versteht – Liebe.
    Ich werde die erste Karawane, die am Horizont auftaucht, bitten, mich ihr anschließen zu dürfen, ohne nach ihrem Ziel zu fragen. Und ich werde aufhören, ihr zu folgen, wenn etwas Interessanteres meinen Weg kreuzt.
    Vielleicht komme ich unterwegs an einem Bettler vorbei, der mich um ein Almosen bittet. Vielleicht gebe ich ihm etwas, vielleicht gehe ich auch einfach weiter, weil ich nicht will, dass er sich mit dem Geld besäuft; ich höre ihn fluchen, mache mir aber nichts daraus.
    Vielleicht komme ich aber auch an jemandem vorbei, der gerade versucht, eine Brücke niederzubrennen. Vielleicht greife ich ein, vielleicht aber auch nicht, denn vielleicht tut er es nur, weil ihn auf der anderen Seite niemand erwartet und er auf diese Weise seine eigene Einsamkeit zu vertreiben versucht.
    Ich werde alles und alle so ansehen, als wäre es das erste Mal – vor allem die kleinen Dinge, diejenigen, an die ich mich gewöhnt und deren Magie ich vergessen habe. Die Sandkörner in der Wüste beispielsweise, die sich wie von einer unsichtbaren Kraft angetrieben bewegen.
    Auf das Stück Papyrus, das ich immer mit mir führe, werde ich zur
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