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Die schoene Muenchnerin

Die schoene Muenchnerin

Titel: Die schoene Muenchnerin
Autoren: Kaemmerer Harry
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ungeraucht im Aschenbecher. Eine Rauchfahne schlängelte sich zur Decke hoch. Hummel las noch mal den letzten Eintrag in seinem Tagebuch.
    Im Norden ist sie aufgetaucht
all die Schönheit – ausgehaucht
einst voll Esprit, voll Eleganz
aus, vorbei – der letzte Tanz
    Hingegossen aufs Parkett
jede Hilfe längst zu spät
kalt die Stirn und kalt die Hand
blasse Haut so weiß wie Wand
    Fragezeichen schmal und blau
die Lippen dieser jungen Frau
ehedem sehr voll, sehr rot
habe die Ehre, sagt der Tod
    Alles hat so seine Zeit
Herbst heißt auch Vergänglichkeit
    LILA
    Mitternacht. Ein junger Arzt und eine junge Krankenschwester betraten den Raum im zweiten Untergeschoss. Er löschte das grelle Neonlicht und schaltete einen der Röntgenleuchtkästen an. »Hey, romantisch«, sagte sie und deutete auf die Hirnquerschnitte in der Lichtbox.
    »Ich bin so scharf auf dich«, zischelte er.
    Sie säuselte: »Die Leichenhalle turnt mich total an.«
    »Was hast du unter dem Kittel?«
    »Guck doch nach.«
    Gierig schob er ihren Kittel nach oben, unter dem sie nichts trug außer einem lilafarbenen Bonsaistring. Er drängte sie an den Schrank. Ihre nackten Pobacken berührten das Metall der Schubladen. Heiß und kalt. Er öffnete hastig seine Hose.
    »Halt! Hör auf!«
    »Was denn?«
    »Hörst du das nicht?«
    »Was, dein Herz?«
    »Quatsch! Da ist was!«
    Jetzt hörte auch er das kratzende Geräusch. Sie sahen sich ängstlich an. »Ein Tier, eine Ratte?«, schlug er vor.
    Sie schüttelte den Kopf. »Es kommt von da drinnen.« Sie deutete auf die Kühlfächer. Er zog eine der Schubladen auf. Leer. Eine weitere. Eine bleiche Leiche sah sie unverwandt an. Er schloss die Schublade und öffnete die nächste. »Dr. Weiß! Was machen Sie denn hier?«
    TIGERMAN
    Dosi war gerädert, als sie um ein Uhr nach Hause kam. Sie hatte zuvor noch mit Mader Schneewittchens Eltern besucht. In Mittersendling, in einer kleinen Wohnung, die nach Schweiß und Kohl roch. Die Mutter in ihrem klein geblümten Kittel war bei der Nachricht vom Tod ihrer Tochter auf dem dunkelbraunen Wohnzimmersofa zusammengesackt. Der Vater hatte mit betoniertem Blick die Schnitzkunst der monströsen Schrankwand fokus­siert.
    Dosi wusste nicht, was ihr mehr zugesetzt hatte, die beengten Wohnverhältnisse oder die Gefühlsimplosion, die sämtliches Leben aus den vier Wänden der Sallers gesaugt hatte. Atemnot. Nach solch einer Nachricht Fragen stellen – ging gar nicht. Sie würden noch mal vorbeischauen. Oder Mader solo. Der hatte ja ein Händchen für so was.
    Dosi ging zum Kühlschrank und holte sich ein Weißbier und eine Zitronenlimo. Sie versenkte den Inhalt der Flaschen in einem Maßkrug und fuhr mit dem Zeigefinger durch den Schaum. Was für ein Tag! Erst die große Freiheit auf dem Motorrad in den Bergen. Dann die Schattenseiten der Großstadt, das Betonapartment in Milbertshofen, die muffige Enge des Mietshauses in Sendling. Ihre eigene Wohnung war auch nur eine Schuhschachtel, aber mehr Leben war schon drin. Sie nahm einen großen Schluck von ihrer Russenmaß und suchte eine CD heraus: Tigerman . Elvis 1968 in Las Vegas. Ganz in schwarzem Leder. Wow!
    DISSONANT
    Der Neuperlacher Hochnebel strahlte in grellem Rosa, als Mader aufwachte. Ihn fröstelte. Seine Nase lief, das passte stimmungsmäßig. Er sah aus dem Küchenfenster über den bräunlichen Filz der trostlosen Grünanlagen. Bei den Mülltonnen verwelkten zwei Fahrräder und ein Campingstuhl. Vielleicht sollte er doch wieder ins Zentrum ziehen? Obwohl – so konzentrierte man sich wenigstens auf die wichtigen Dinge, auf sich selbst. Er öffnete für Bajazzo eine Dose Hundefutter und schaltete die Kaffeemaschine ein. Die Leiche von gestern hatte seinen heiteren Urlaubsnachklang gestört, dissonant werden lassen. Im Traum hatte er die schöne Frau auf dem Laufsteg einer Pariser Modenschau gesehen. Klassische Musik, Blitzlichtgewitter, Applaus. Jetzt lag sie in einer Schublade von Dr. Fleischers Kühlraum.
    EISWÜSTE
    Nein, die Schöne Münchnerin befand sich bereits auf einem Obduktionstisch, denn Gesine schätzte die Gunst der frühen Stunde, wenn die Sinne noch scharf waren. Die Bee Gees dudelten im Radio, sie pfiff mit. Mit Kennerblick scannte sie noch einmal den Körper der jungen Frau, die sorgfältig epilierte Scham, die kleinen Narben unter den Brüsten. Oberflächlichkeiten. Sie hatte gestern Nacht noch ihr Innerstes gesichtet, daher die grobe Naht am Thorax. Die Lungenflügel eine kristalline Eiswüste.
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