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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques
Autoren: Fred Vargas
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befördern zu müssen. Deswegen hat man auf dem Land auch nie das Bedürfnis, Steine vor sich her zu kicken, wo es sie doch tonnenweise gibt. Mit Bravour überquerte Marcs Stein die Rue Soufflot und nahm nun ohne allzu große Probleme den schmaleren Teil der Rue Saint-Jacques in Angriff.
    Sagen wir zwei Jahre. Und nach zwei Jahren bleibt als einziger Reflex eines Mannes, der in der Scheiße sitzt, sich auf die Suche nach einem anderen Mann zu machen, der in der Scheiße sitzt.
    Denn mit denen Kontakt zu pflegen, die es geschafft haben, wenn man selbst mit fünfunddreißig vollkommen gescheitert ist, das verbittert. Sicher, anfangs ist es noch unterhaltsam, es läßt einen träumen und macht Mut. Dann fängt es an zu nerven, und schließlich verbittert es. Man kennt das ja. Und Marc wollte vor allem nicht verbittert werden. Sowas ist häßlich und riskant, vor allem für einen Mediävisten. Nach einem kräftigen Tritt erreichte der Stein das Valde-Grâce.
    Es gab da jemanden, von dem er gehört hatte, daß er ebenfalls in der Scheiße saß. Und nach neuesten Informationen schien Mathias Delamarre schon geraume Zeit so richtig authentisch in der Scheiße zu sitzen. Marc mochte ihn, ja sogar sehr. Aber er hatte ihn in den besagten zwei Jahren nicht mehr gesehen. Vielleicht machte Mathias ja bei dem Vorhaben mit, die Baracke zu mieten. Denn die lächerliche Miete konnte Marc im Augenblick nur zu einem Drittel beschaffen. Und man mußte schnell zusagen.
    Seufzend kickte Marc den Stein bis zu einer Telefonzelle. Wenn Mathias mitmachen würde, könnte er sich das Geschäft vielleicht sichern. Mit Mathias gab es nur ein großes Problem. Er war Prähistoriker. Für Marc war damit alles gesagt. Aber war das jetzt der Moment, sektiererisch zu werden? Trotz des gewaltigen Grabens, der sie trennte, mochten sie sich. Das war merkwürdig. Er sollte lieber an diese Merkwürdigkeit denken und weniger an Mathias’ absurde Entscheidung für die abstoßende Epoche der Jäger und Sammler mit den Feuersteinen. Marc fiel seine Telefonnummer wieder ein. Jemand antwortete ihm, daß Mathias nicht mehr dort wohne, und gab ihm eine neue Nummer. Entschlossen wählte er erneut. Mathias war zu Hause. Als Marc seine Stimme hörte, atmete er auf. Daß ein Typ von fünfunddreißig Jahren an einem Mittwoch um fünfzehn Uhr zwanzig zu Hause ist, ist der faßbare Beweis dafür, daß er in einer erstklassigen Scheiße sitzt. Schon mal eine gute Nachricht. Und wenn der Typ ohne weitere Erklärung einwilligt, dich in einer halben Stunde in einem trostlosen Café in der Rue du Faubourg-Saint-Jacques zu treffen, ist er bereit, alles zu akzeptieren.
    Obwohl...

 
     
3
     
    Obwohl... Man konnte mit dem Typ nicht machen, was man wollte. Mathias war eigensinnig und stolz. Genauso stolz wie er selbst? Womöglich noch schlimmer. Jedenfalls der Prototyp eines Jägers und Sammlers, der seinen Auerochsen bis zur Erschöpfung verfolgt und eher seinen Stamm verläßt, als ohne Beute zurückzukehren. Nein. Das war das Porträt eines Blöden, und Mathias war fein und gewandt. Aber er war fähig, zwei Tage lang nichts zu sagen, wenn das Leben einer seiner Ideen widersprach, wahrscheinlich zu kompakten Ideen oder vielleicht nicht anpassungsfähigen Wünschen. Marc, der das Reden bis zur Kunst der Haarspalterei trieb und sein Publikum damit häufig ermüdete, hatte angesichts dieses blonden Riesen mehr als einmal schweigen müssen, angesichts dieses großen Jägers und Sammlers mit den blauen Augen, der verloren seiner Jagd nach dem Auerochsen nachging und dem man in den Gängen der Universität begegnete, wo er schweigsam auf einer Bank saß und langsam seine großen Hände aneinander rieb, als ob er die widrigen Geschicke zermalmen wollte. Vielleicht war er ja Normanne? Marc fiel auf, daß er ihn in den vier Jahren, die sie nebeneinander verbracht hatten, nie gefragt hatte, wo er herkomme. Was sollte das auch für eine Rolle spielen? Es hatte Zeit.
    In dem Café gab es nichts zu tun, und so wartete Marc. Mit dem Finger skizzierte er Ansichten einer Statue auf den kleinen Tisch. Seine Hände waren mager und lang. Er mochte ihren klaren Knochenbau mit den deutlich hervortretenden Venen. Ansonsten hatte er ernsthafte Zweifel. Warum daran denken? Weil er den großen blonden Jäger wiedersehen würde? Na und? Er selbst, Marc, von mittlerer Größe, extrem schmal, mit eckigem Körper und Gesicht, wäre natürlich nicht der ideale Typ für die Jagd nach dem Auerochsen
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