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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin.
Autoren: Marlene Streeruwitz
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gewesen. Sie hatte den Schlüssel am Schlüsselbund gelassen, weil sie es peinlich gefunden hatte, nur noch 2 Schlüssel und den Autoschlüssel am Schlüsselbund zu haben. Viele Schlüssel. Das war ihr wie Reichtum erschienen. Sozialer Reichtum. Der Zugang zu vielen Wohnungen. Willkommen in vielen Wohnungen. Das war wie im Supermarkt. Mit der Packung Vollkornkekse und der Packung Sojaeis. Eine einsame Person. Keine Familie. Niemanden zu versorgen. Niemanden zum Essen. Nichts zu kochen. Single. Allein. Langweilig.
    Im Umkleideraum war nichts verändert. Sie fand ihren Spind. Sperrte ihn auf. Da war alles Mögliche. Eine Flasche Wodka stand gleich vorne. Sportschuhe. Sportsachen. Ein Rucksack. Die Windstopperjacke. Sie nahm die Jacke. Zog sie an. Sie zippte das handy und den Schlüsselbund in die Tasche am Rücken. Sie schaute die Wodkaflasche an. Sie hatte den Geschmack von Wodka im Mund. Aber von kaltem Wodka. Dieser Wodka war so warm, wie es in diesem Raum heiß und stickig war. Sie steckte die Hände in die Seitentaschen der Windstopperjacke und ging auf den Gang.
    Sie ging dann in Richtung Haupthaus. Es war still. Vollkommen still. Sie hatte plötzlich keine Angst mehr. Ihr handy läutete. Sie holte es aus der Tasche. Es war Ginos Mutter. Sie nahm das Gespräch an. Was es gäbe. Ob es Gino gutginge. Also wie es dem Ingo ginge. Natürlich. Ja, der wolle mit ihr sprechen. Sie gäbe das Telefon weiter. Sie könnten so lange reden, wie sie wollten. Sie habe einen Handyvertrag, da könne man 100 Stunden im Monat reden. Sie ginge etwas essen. Dann hörte sie schon Gino. »What’s up.« fragte er. Das wolle er nicht wissen, sagte sie. Wie es ihm ginge. Beschissen, sagte er, und wo sei sie denn. Das wolle er auch nicht wissen. Sie wäre im compound. Aber es gäbe die wunderbarste Nachricht. Er könne ja raten, was es sei. Sie habe etwas wiedergefunden. Ob sie die Wimperntusche gefunden hätte, die sie seit Monaten nicht mehr verwende und ohne die sie ein Katzengesicht hätte. Sie musste lachen. Gino solle nicht so eitel sein. Nein. Es habe überhaupt nichts mit Aussehen zu tun. Wo sie wirklich sei. Sie stiege gerade die Stufen zum oberen Stockwerk im compound hinauf. Sie käme sich vor wie in einem Horrorfilm. Über ihr hinge dieses Riesenbild. Laokoon. Er wisse doch. Dieser trojanische Priester, der mit seiner Frau im Tempel gefickt hatte. Ob das nicht die Geschichte mit den Schlangen sei, fragte Gino. Ja, sagte sie. Die armen Söhne wären in die Erstickung durch die Schlangen mit hineingezogen worden. Weil der Herr Papa sich nichts geschissen hätte. Im Tempel von Apollo. Das wäre doch immer das Schicksal der armen Söhne, sagte Gino. Und der armen Töchter. Die dürften dann heulen. Nachher. Wenn die Eltern schon wirklich alles kaputtgemacht hatten.
    Sie stieg hinauf. Schaute von unten auf das Bild. Im Licht des Sommernachmittags. Des Spätsommernachmittags. Es war zu hell. Die Staubränder deutlich abgehoben. Da, wo die Farbe dicker aufgetragen, Staubränder. Sie stieg weiter. Die Füße der nackten Männer riesengroß über ihr. Sie nahm den rechten Stiegenaufgang. Aber das hätte doch etwas mit dem Trojanischen Pferd zu tun. Gino redete langsam. Er schaue gleich auf Wikipedia nach. Sie blieb stehen. Richtig, sagte sie. Und war die Tötung von Laokoon und seiner Söhne durch die Schlangen nicht der Schmäh gewesen, der die Trojaner überzeugte, das Trojanische Pferd in die Stadt zu holen. Ja, führte Gino weiter. Der war der Einzige, der die Gefahr erkannt hatte. Aber diese Schlampe von Pallas Athene hätte dann die Schlangen geschickt und alles umgedreht. Was man auch von einer Frau halten solle, die aus dem Vater so direkt entsprungen sei, fragte sie. Woher die genau herausgesprungen sei, überlegte Gino. Ob er das nachschauen solle. War das der Kopf gewesen oder doch der Oberschenkel vom Zeus. Die Hüfte. Dem Laokoon. Dem wäre es gegangen wie ihm. »So wie ich.« sagte er dann. Verträumt. »Ich weiß das auch immer gleich, wenn etwas schiefgehen wird. Aber niemand glaubt mir. Du doch auch nicht.« Das müsse sie zugeben, antwortete sie. Sie war stehen geblieben. Sie stieg weiter. Kam im oberen Stock an. Die Doppeltür zum Konferenzzimmer angelehnt. Was mache sie, wollte Gino wissen. Sie solle da hinaus. Raus, sagte er. Er könne doch hören, wie still es da war. Er würde da keinen Schritt machen. Das wäre eben er, sagte sie. Sie ginge jetzt gerade in das Konferenzzimmer. »Ich öffne die Tür. Dazu schiebe
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