Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin.
Autoren: Marlene Streeruwitz
Vom Netzwerk:
Heinz oben. Cindy bei ihnen. Mit dem Rücken zu den großen Fenstern. Cindy beachtete jeden Vorteil. Cindy war eine Art lebendes Lehrbuch. Sie schaute Cindy an und dachte, dass sie nur so hinsehen hätte müssen wie jetzt gerade und sie hätte alles lernen können. Ob sie dann aber auch so aussehen musste wie Cindy. Cindy war mager. Cindy war nicht schlank. Sie war mager. Sie schaute zum Fenster hinaus. Draußen. Der Schnee auf den Dächern der Baracken und Hallen. Alles hatte diese Weihnachtsfestlichkeit. Die Sonne ließ die Schneedächer glänzen und die langen Eiszapfen schimmern. Wann war jemand mager und wann schlank. Die Betsimammi war auch mager.
    »Worst case scenario.« hörte sie. Ein Mann rechts oben donnerte. »We have here a worst case scenario and we are helpless.« Sie schaute zu Gregory. Gregory sah dem Mann rechts oben zu. Er beobachtete ihn und wandte sich dann Anton zu. Anton schaute auf den Notizblock vor sich hin. »Ja.« sagte Anton. Hilflos. Das wäre der passende Ausdruck. Nun wüssten aber alle, wie die Lage sei, und man könne mit dem Programm fortfahren. Cindy stand auf und stellte sich ans Fenster. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute die Männer an. Jeden einzeln. Alle sahen sie an. Sie trat einen Schritt an den Tisch zurück. Dann wandte sie sich brüsk wieder dem Fenster zu. Sie könne sich nicht so leicht abfinden. Ihr reiche ein Bericht nicht. Sie wolle alles wissen. Da wäre nichts zu wissen, sagte Heinz. Es wüsste ja niemand etwas. Auch Cindy müsse sich damit zufriedengeben. Es gäbe immer einen Weg. Immer eine Möglichkeit. Cindy stand wieder am Fenster. In diesem Fall nicht, sagte Gregory. Und dass er Cindy verstünde. Er sympathisiere mit ihr. Es sei immer ein neuer Horror, wenn ein Kamerad in die Hände des Feinds falle. In diesem Fall wäre Grotowski allerdings in die Hände der befreundeten Regierung gefallen, was aber die Sache noch schlimmer mache. Was die Sache noch schlimmer machen könne. Cindy setzte sich. Wenigstens Zigaretten könne man schicken, sagte sie böse. Gregory beugte sich über den Tisch ihr zu. Das mache die British Embassy routinemäßig. Wenn etwas funktioniere, dann die Versorgung von britischen Staatsangehörigen in ausländischen Gefängnissen mit Zigaretten. Es gäbe jeweils einen eigenen attaché dafür. Gregory war schon wieder ironisch geworden. Cindy saß zusammengesunken da. Heinz schaute auf. Grotowski wäre Nichtraucher gewesen. Cindy schlug mit der Hand auf den Tisch. Gregory zuckte mit den Achseln. »Ja dann.« sagte er auf Deutsch. Cindy drehte sich um und lehnte sich über die Rückenlehne ihres Sessels. Sie schaute über den Hof in die Hügel hinter den Feldern. Alle blieben still.
    Amy, sagte sie sich. Amy. Wenn du Führungsqualitäten an den Tag legen willst. Bei dem Wort »Führungsqualitäten« hätte sie gerne nach dem Wodka gegriffen. Überhaupt hätte sie gerne diese flask. Diesen Flachmann in der Hand gehalten. So wie andere mit Zigaretten hantierten. Aufschrauben und wieder zuschrauben. Gedankenverloren schwenken und ansehen. Amy, jetzt solltest du die Angelegenheit an dich reißen. Jetzt war der Augenblick für einen Auftritt. Die Frage war ja nur, wie ging man da mit Cindy um. Cindy musste benutzt werden. Denn. Cindy hatte gewonnen. Diesen Teil der Sitzung hatte Cindy gewonnen. Cindy hatte es erreicht, dass alle still blieben, solange sie so brütend dasaß. Aber. Cindy hatte die Führung so gebündelt, dass man sie ihr aus der Hand nehmen konnte.
    Sie beugte sich vor. »Ist genügend Repräsentanz vor Ort?«, fragte sie. Wäre denn jemand von der Firma für Grotowski da, und würde die rechtliche Vertretung von Grotowski wirklich von den Besten wahrgenommen. In jedem Fall sollte zumindest ein britischer Anwalt die rechtliche Vertretung organisieren.
    Alle wandten sich ihr zu. Gregory rasch. Anton und Heinz sahen einander an und drehten sich dann zu ihr. Der Mann am oberen Ende des Tischs schaute von seinen Papieren auf. Cindy stand auf und ging zum Fenster. Das wäre doch alles gleichgültig, sagte sie. Es wüssten doch alle, wie gleichgültig eine solche Vertretung wäre. Und alle hier im Raum wüssten, dass es gleichgültig wäre. Jeder wüsste, was in den ersten 3 Tagen mit einem Verhafteten passierte. Das machten sie schließlich als Beruf, und hier ginge es um Korruption. Ob es jemanden gäbe, der sich in dem Dschungel von Korruption da auskennte und die richtigen Leute bezahlen könnte. Die richtigen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher