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Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)

Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)

Titel: Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
Autoren: Sophie Seeberg
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Zweimal. Also, ist das ja jetzt nicht so schlimm, wenn sie mal ’ne Klasse wiederholen muss, ey.«
    Ich befürchte, dass mir kurzfristig die Gesichtszüge entgleisten. Ich fragte noch einmal nach …
    »Ja, klar hab ich eine Klasse übersprungen, ey! Sogar zweimal!« Auf meine erneute Nachfrage stellte sich heraus, dass sie »einen ganz normalen Schulabschluss halt, normal halt« hat (nämlich keinen – sie war auf einer Sonderschule gewesen und ohne Abschluss abgegangen). Sie war aber dennoch der festen Überzeugung, dass sie zweimal eine Klasse übersprungen habe, »weil, da hätte ich wieder in die sechste gesollt und bin dann auf der anderen Schule in die siebte. Und das dann danach noch mal. Statt noch mal die siebte in die achte. Also eine übersprungen. Zweimal.« Sie rechnete mir wilde Sachen vor, bis sie zu dem Ergebnis kam, dass sie wahrscheinlich sogar dreimal eine Klasse übersprungen habe. Beeindruckend – auf eine Art …
    Meine Tochter wäre sicher interessiert, den Rechenweg zu erfahren, um früher die Schule verlassen zu können.
     
    Frau Höffers erklärte mir, dass auch ihre Schwester und ihr Bruder hochbegabt seien. Das liege bei ihnen in der Familie. So sei es auch bei ihrer Tochter. »Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey! Da kann man nix machen. Wir sind alle so. Die ganze Familie ist hochbegabt. Das ist so ein Genetik, das bei uns anders ist. Verstehen Sie? Das ist dann nur in unserer Familie. Okay, wenn die Schakkeline mal heiraten tut, kann der Mann das dann auch bekommen. Aber sonst bleibt das nur bei uns.«
    Es war klar, dass Frau Höffers’ kognitives Niveau eher suboptimal war. So drücke ich das in Gesprächen mit Jugendamt und Gericht immer aus, um nicht sagen zu müssen, dass die Eltern leider strohdoof sind.
     
    Ich war jedenfalls froh, als das Gespräch mit der Mutter beendet war und Schakkeline von der Schule nach Hause kam. Bei Interaktionsbeobachtungen muss ich den Leuten ja nicht ständig gegenübersitzen und sie anschauen.
    Nach zehn Minuten wünschte ich mir jedoch die Gesprächssituation zurück. Denn Schakkeline tat mir so leid – und das nicht nur wegen ihres Namens.
    Ihre Mutter gab ihr ständig widersprüchliche Anweisungen, was dazu führte, dass das Mädchen das einzig Richtige tat, nämlich gar nichts mehr. Nach den Aufforderungen, sowohl die Schultasche abzulegen als auch »jetzt gefälligst mal hierzubleiben«, die Schuhe sofort auszuziehen, sich »ja wohl mal als Allererstes die Hände zu waschen« und ihr »sofort wenigstens eiiiiin-maaaal« zu helfen, den Tisch zu decken, wäre ich auch verwirrt gewesen und hätte mich nicht mehr gerührt – zumal all das in einem extrem unfreundlichen Tonfall vorgetragen wurde und es wohl wahrscheinlich besser war, gar nichts zu tun anstatt das Falsche.
    Schakkeline stand also da, schaute auf den Boden und bewegte sich nicht. Ihre Mutter packte sie an den Schultern, drehte sie um und schubste sie mit einem »Boooooah, ab, Hände waschen, wir ham Besuuuuuch!« in Richtung Bad. Endlich wusste das Mädchen, was zu tun war.
    Die gesamte folgende Interaktion ging genau in diesem Stil weiter. Eine Anweisung nach der anderen, teilweise widersprüchlich, teilweise unverständlich: »Jetzt, boah, mach mal, hopp, da, mach doch das, da! Mann, ey!«
    Das war wirklich ihr O-Ton! Ich habe mitgeschrieben.
    Ich fand es schwer auszuhalten und habe mich mal wieder gefragt, warum ich eigentlich nichts Anständiges gelernt habe. Oder zumindest einen Job mache, bei dem ich einfach von vornherein und ausschließlich
helfen
kann und nicht ewig lange beobachten muss, um hinterher nur das Allerschlimmste abwenden zu können. Verdammt!
    Die arme Kleine tat mir so leid. Ich glaube, sie hätte wirklich gern getan, was ihre Mutter von ihr wollte, aber es war einfach unmöglich herauszufinden, was zum Henker das sein sollte.
     
    Ich habe die Interaktionsbeobachtung nach einer Stunde beendet – und denke im Nachhinein, dass das eigentlich noch viel zu lange war. Also, für mein Wohlbefinden war es definitiv zu lang. Für die Begutachtung natürlich nicht, denn es hätte ja sein können, dass sich doch noch was Positives entwickelt. Ein Spiel oder etwas in der Art … Ich hatte Frau Höffers mehrfach darauf hingewiesen, dass sie ruhig auch etwas mit Schakkeline spielen könne, aber ich befürchte, so etwas hatte sie noch nie gemacht.
    Im Einzelgespräch, das ich mit Schakkeline in ihrem vollgestellten Kinderzimmer führte, war das Mädchen
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