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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Autoren: Ken Follett
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starrten die junge Frau an.
    Nicht sie hatte geschrien, sondern das Weib des Messerschmieds, das neben ihr stand, sie aber war der Anlass gewesen: Vor dem Galgen war sie auf die Knie gesunken und reckte die Arme vor, bereit zum Fluch. Die Leute wichen vor ihr zurück, wusste doch ein jeder, dass der Fluch eines Menschen, dem Unrecht geschah, besondere Kräfte besaß. Und dass es bei dieser Hinrichtung nicht mit rechten Dingen zuging – den Verdacht hegten sie ohnehin. Die Gassenjungen packte das Grauen.
    Das Mädchen richtete den beschwörenden Blick ihrer hellgoldenen Augen nun auf die drei Fremden – den Ritter, den Mönch und den Priester. Und dann verhängte sie ihren Fluch über sie – furchtbare Worte in hellem, klingendem Ton:
    »Krankheit und Sorge, Hunger und Schmerz beschwöre ich auf Euch herab. Euer Haus soll vom Feuer verzehrt werden, und Eure Kinder sollen am Galgen enden. Euren Feinden soll es wohl ergehen, während Ihr in Gram und Trauer alt werdet und in Siechtum und Elend dahinfault …« Noch während sie sprach, griff das Mädchen in einen Sack, der neben ihr auf dem Boden lag, und zog einen lebenden Hahn heraus.
    Und mit einem Mal hielt sie ein Messer in der Hand. Eine einzige rasche Bewegung – da hatte sie auch schon dem Tier den Kopf abgeschnitten, den blutenden Rumpf gepackt und nach dem schwarzhaarigen Priester geschleudert. Das kopflose Tier traf ihn zwar nicht, doch das Blut bespritzte nicht nur den Priester, sondern auch den Mönch und den Ritter, in deren Mitte er stand.
    Voller Abscheu und Ekel wandten sich die drei Männer ab, doch das Blut traf sie alle, befleckte ihre Gewänder und zeichnete ihre Gesichter.
    Das Mädchen machte kehrt und rannte um sein Leben.
    Die Menge öffnete ihr eine Gasse, die sich hinter ihr wieder schloss. Danach herrschte das reine Chaos, bis es dem Vogt gelang, die Aufmerksamkeit seiner Bewaffneten auf sich zu lenken. Wütend befahl er ihnen, das Mädchen einzufangen. Gehorsam kämpften sie sich durch die Menge, drängten rüde Frauen und Kinder beiseite, doch ehe sie sich’s versahen, war das Mädchen verschwunden. Der Vogt hieß sie weitersuchen, aber er wusste genau, dass es nicht gefunden würde.
    Angewidert wandte er sich ab. Der Ritter, der Mönch und der Priester hatten die Flucht des Mädchens nicht weiter verfolgt. Statt dessen starrten sie allesamt auf den Galgen. Der Vogt folgte ihrem Blick. Der tote Dieb hing am Strick, sein blasses, junges Gesicht bereits blau verfärbt. Unter seiner sanft hin und her pendelnden Leiche drehte der kopflose Hahn im blutbefleckten Schnee zackige Kreise.

Buch I
    1135-1136

Kapitel I
    In einem weiten Tal am Fuße eines Hanges, gleich neben einem Bach mit frischem, perlendem Wasser, errichtete Tom ein Haus.
    Die Mauern waren bereits drei Fuß hoch und wuchsen schnell. Die Sonne schien, und die beiden Maurer, die Tom angeworben hatte, arbeiteten in gleichbleibendem Rhythmus. Ratsch – platsch – peng machten ihre Kellen, während der Träger unter dem Gewicht der schweren Steinblöcke schwitzte. Alfred, Toms Sohn, mischte den Mörtel und zählte Schaufel um Schaufel den Sand, den er gerade auf ein Brett häufelte. Auch ein Zimmermann war zugegen; er stand neben Tom an der Werkbank und bearbeitete sorgfältig einen Buchenholzblock mit einem Breitbeil.
    Der vierzehnjährige Alfred war groß und schlank wie sein Vater. Tom überragte die meisten Männer um Haupteslänge, und Alfred, der noch im Wachsen war, hatte ihn schon fast erreicht. Die beiden sahen einander überhaupt sehr ähnlich, hatten beide hellbraunes Haar und grünliche Augen mit braunen Flecken. Ein hübsches Paar, die zwei, sagten die Leute, wenn sie ihnen begegneten. Sie unterschieden sich im Wesentlichen dadurch, dass Tom einen lockigen braunen Bart trug, während sich auf Alfreds Oberlippe erst ein feiner blonder Flaum zeigte. Tom erinnerte sich voller Zärtlichkeit daran, dass einst auch das Haupthaar seines Sohnes so blond gewesen war.
    Alfred wurde nun langsam zum Mann, und Tom hätte es gern gesehen, wenn sein Sohn mit etwas mehr Fleiß und Bedacht bei der Sache gewesen wäre. Der Junge musste noch eine Menge lernen, wenn er ein Steinmetz werden wollte wie sein Vater. Bisher hatten ihn die Regeln der Baukunst allenfalls verwirrt oder gelangweilt.
    Das Haus, an dem sie gerade arbeiteten, würde nach seiner Fertigstellung das schönste und größte Herrenhaus im Umkreis von vielen Meilen sein. Das Erdgeschoss war als geräumiger Speicher
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