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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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schlagfertiger als Condoleezza Rice und Rumsfeld zusammen, doch in diesem Moment sah er aus, als hätte ihm jemand das Skelett aus dem Körper gezogen.
    Dann, ganz plötzlich, sprang er aus dem Sessel und baute sich vor Nullmann auf.
    »Vater!«, schrie er. »Tu was, Vater!«
    Nullmann starrte ihn mit offenem Mund an. Ich auch.
    »Dein ganzes Leben lang lässt du dich von ihr, lässt du dich von allen herumschubsen, Vater! Ich habe versucht, dich zu verstehen, dich, sie, aber – warum bist du so schwach, Vater? Sieh mich an, was aus mir geworden ist. Dein Sohn, Vater, DEIN Sohn! Sag mir, WAS ICH TUN SOLL !«
    Der Signore, also James Dean, schüttelte Nullmann so heftig am Kragen, dass ihm das Bier aus der Hand fiel.
    »Nein, James, nein!«, schrie ich.
    Der Signore, also James Dean, griff sich das Käsemesser und flüchtete aus dem Raum. Eine Tür knallte.
    Nullmann befühlte seinen Hals.
    »Verdammt noch mal«, sagte er. »Er hat mich fast erwürgt. Ich wollte doch bloß ...«
    »Einen Scheiß wolltest du«, sagte ich. »Warum lässt du ihn nicht einfach SEIN ? Warum musst du ihn immer wieder aufregen?«
    Der Signore, also James Dean, saß in seiner James-Dean-Jacke und seinen James-Dean-Jeans auf der Treppe vor seinem Haus und wühlte mit den Händen in seiner James-Dean-Frisur. Vor ihm aufdem Asphalt lag das Käsemesser. Es glitzerte in der Sonne wie eine Antwort auf irgendwas.
    »Sie verstehen es nicht, Plato«, sagte er und nahm mich in den Arm.
    »Sie verstehen es nicht.«
    Ich strich dem Signore, also Jimmy Dean, durch die Haare. Sie rochen nach der Sonne von Indiana, nach dem Himmel über Kalifornien, nach Angst, Leidenschaft, Stolz. Und ein bisschen auch nach Schweiß.
    Ich lehnte mich an ihn, dann weinten Jimmy und ich. Von irgendwoher erklang eine Polizeisirene, aber aufstehen wollte ich trotzdem nicht. Nicht ohne Jimmy.

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Der Klub der blauen Dichter
    Wenn die Frankfurter Buchmesse selber ein Buch wäre, was für ein Buch wäre sie dann – eine Komödie, eine Tragödie, ein Gesellschaftsroman? Und wie viel muss man trinken, um es herauszubekommen, und mit wem? Diese Fragen stellen sich hier, wenn es Nacht wird.
    Aber der Reihe nach.
    Ich kam vor zwei Tagen nach Frankfurt. In Frankfurt ist nie was los. Es sei denn, man kommt zur Buchmesse: Dann gibt’s kein Taxi und kein freies Hotel im Umkreis von dreißig Kilometern, und selbst das kleinste Pensionszimmer kostet 150 Euro. Es liegt an den Büchern, die jeden Oktober die Stadt überschwemmen: über 300000 von über 7500 Ausstellern sind’s in diesem Jahr, dazu Tausende von Autoren, Verlegern, Agenten, Kritikern. Sie entscheiden über Gegenwart und Zukunft des Buchgeschäfts; sie reden, streiten, trinken, in Hallen, auf Partys, in Restaurants. Frankfurt geht unter im Buchstabensalat; um zu sehen, was am Ende davon übrig bleibt, kam ich her.
    Spätsommerlich brannte die Sonne vom Messeturm herunter, als ich die erste Halle betrat. Gewimmel und Gewummel überall; und sofort wurde klar, dass die Messe nur zu ertragen ist, wenn man stets und ständig trinkt. Denn die Luft ist trocken hier, so trocken wie Kopierpapier. Erstes Bier (3 Euro).
    Reclam, Piper, DuMont, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch – die Namen der Verlage zogen an mir vorbei. Auf Schauregalen sind dieBücher ausgestellt, frisch und unberührt, ab und zu klaut auch einer was. Bei Piper saß der Strafverteidiger Ferdinand von Schirach (»Schuld«) auf dem Sofa und erklärte, was von seinen Kurzgeschichten Fakt ist (»viel«) und was Fiktion (»weniger«); bei Kiepenheuer & Witsch saßen Frank Schätzing (»Limit«) und der Autor Moritz von Uslar (»Deutschboden«), der mit Cornelius Tittel, dem Kulturchef der »Welt«, gerade eine Fehde ausfocht, weil Tittel nach Uslars Reportage über ein Dorf in Ostdeutschland einen eigenen Reporter hinterhergeschickt hatte, um Uslars Fakten zu prüfen. Uslar fühlte sich dadurch beleidigt und schickte Tittel eine SMS, in der er ihn als »Eierkopp« bezeichnete, wodurch sich wiederum Tittel beleidigt fühlte und den SMS – Verkehr in der »Welt« veröffentlichte, woraufhin eine Diskussion über Stil & Anstand entstand, bei der sich auf einmal noch ganz viele andere Leute beleidigt fühlten. Es war sozusagen der erste Mini-Eklat der Buchmesse; nennen wir ihn »Die Eierkopp-Affäre«. Ich wollte das gerade ausrecherchieren, als plötzlich ein sehr bunter Vogel vor mir stand. Er war stark geschminkt, trug ein offenes rotes Hemd und hatte ungefähr sechzig
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