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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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fand ich nicht so gut.«
    »Bevor ich das täte, würde ich eher m e i n e Seele zu Salamischeiben zerstückeln und sie dem Teufel auf Ciabatta-Brot anbieten.«
    »Das würdest du tun?«
    »Jederzeit und mit Freuden. Soll ich ihn gleich anrufen?«
    Sie lächelte so, wie ich mag, dass sie lächelt, und so, wie man’s nicht beschreiben kann, ohne sich daran zu versündigen.
    And then I kissed her.

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Wenn es Nacht wird in Berlin
    Es war eine Frau aus Buenos Aires, die mich bei einem Abendessen in dem Restaurant »Bandol« neulich fragte, was eigentlich das Besondere an dem Berliner Nachtleben sei, von dem in der ganzen Welt immer so geschwärmt und erzählt würde. Sie hieß Mimi Gonzalez Gomez und war sehr hübsch. Brünett, klein, wendig. Lateinamerikanerin eben. Ich liebte sie sofort.
    Normalerweise plappere ich direkt los, aber diesmal hatte ich, ehrlich gesagt, nicht gleich eine Antwort parat. Über das eigene Nachtleben nachzudenken ist ein bisschen so, wie über das eigene Sexleben nachzudenken: muy dificíl, wie sie in Südamerika sagen. Nicht ganz leicht. Und das Gute am Berliner Nachtleben ist, dass es einfach so passiert – dass Tag und Nacht relativ nahtlos ineinander übergehen und wir nicht so sehr aufteilen zwischen Nine-to-five und Five-to-nine. Aber warum war das gleich noch mal so?
    »Es liegt vor allem an der Geschichte dieser Stadt«, begann ich in der Tonlage von Guido Knopp. »Sicherlich weißt du, dass Berlin während der Nachkriegszeit lange eingekesselt war, und diese Inselposition hat dafür gesorgt, dass sich der Individualismus sehr ausgeprägt hat. Zum Beispiel war dies die erste deutsche Stadt, in der die Sperrstunde abgeschafft wurde, ja, das stimmt wirklich. Die traumatische Teilung in Ost und West tat dazu selbstverständlich noch ihr Übriges.«

    »Aha?«, sagte Mimi und gähnte sanft. »Das ist sehr interessant.« Sie sah zur Theke und flirtete dem Küchenchef zu, der darauf die ganze Zeit gewartet hatte.
    »Das ist natürlich nicht der einzige Grund«, redete ich schnell weiter. »Nach der Wende ließen sich hier Anfang der Neunzigerjahre viele Leute nieder, die von der alten Bundesrepublik gelangweilt waren. Sie besetzten Häuser, stellten dort ihre Laptops auf Tapetentische und tippten da irgendwas rein, verstehst du? Und als sie nicht mehr wussten, was sie tippen sollten, gründeten sie Klubs und Bars und Restaurants. Und diese Klubs und Bars und Restaurants wurden schnell in der ganzen Welt bekannt: das »Grill Royal« zum Beispiel für seine dicken Steaks und seine Vagina-Skulpturen an der Wand, die »Tausend Bar« für ihre Drinks und ihr »Clockwork Orange«-Design, das »Weekend« am Alexanderplatz für seine DJ s und den tollen Blick über die Stadt, das »Borchardt« für sein Wiener Schnitzel und die vielen Politiker, Partys um ein Uhr nachmittags und die vielen Schwulen und das Vagina-Porträt von Wolfgang Tillmans.« Wir haben wirklich sehr viele Vagina-Darstellungen in Berlin, fiel mir dabei auf. Ich fragte mich, ob man es schon einen Fetisch nennen konnte.
    »Klingt super«, meinte Mimi und ließ ihren Blick durch den Raum schwenken. »Müssen wir unbedingt mal hingehen.« Meinte sie mich? Meinte sie den Küchenmann? So richtig gut schlug ich mich nicht, kam es mir vor. Litt sie noch am Jetlag? War sie auf Schmerzmitteln, Schlafmitteln, Tranquilizern? Waren das gerade die aktuellen Lifestyledrogen in Argentinien?
    »Vor allem aber liegt es daran, dass Berlin die Stadt der unsicheren Lebensentwürfe ist«, erklärte ich etwas lauter im Soziologiestudentenduktus. »Es gibt hier so viele Arbeitslose, Singles, kaputte Künstler-Existenzen und sonst wie Irre wie kaum woanders auf der Welt. Es ist wirklich toll. Und wenn dieser Mix sich nachts auf der Suche nach Liebe und Wärme durch die Straßen drängelt, entstehen Glamour, Sex und Aufregung wie zuletzt im New York derSiebziger, bevor Aids alles zerstörte. Sehnsucht regiert diese Stadt, liebe Mimi Gonzalez Gomez!«
    Mimi sah mich aus halbgeschlossenen Augenlidern an. Schlief sie schon? Starb sie gerade?
    »Und natürlich die Musik!«, rief ich, fuchtelte in der Luft herum, sprang vom Stuhl. »Wir haben fast nur elektronische Tanzmusik hier, kaum Rock, und die Tanzmusik ist wie ein ewig pulsierender Herzschrittmacher, der den Beat des Berliners bestimmt, sodass er immerzu tanzen muss – auf dem Weg zur S-Bahn, zum Arzt und zur Arbeit, die er nicht hat. Und wegen dieser Musik kommen jetzt jede Woche Tausende
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