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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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Dinge!«, beschwert sie sich dann, aber sie ist nur sauer darüber, dass Camus ihr hübsches Dekolleté nicht bemerkt, weil zu Hause Jean Seberg auf ihn wartet. Andere Gäste, die aber meist nur kurz hier sind, weil sie andauernd arbeiten: Brian Wilson, Jack Kerouac, Iggy Pop, João Gilberto und seine Frau Astrud, Serge Gainsbourg und das Model Christy Turlington, mit der ich mal eine Affäre hatte, die Jane mir nur verzieh, weil sie mir praktisch verfallen ist. Oscar Wilde habe ich ein paar Mal persönlich eingeladen, aber er kommt nicht. Nichts ist gut genug für Oscar, so ist er nun mal, der alte Snob. Selbst über das hervorragende Hotel im Kolonialstil, das Old-Herbert-Fischer-Crown-Palace-Plaza, meckerte er: Angeblich müsste das Holz mal wieder furniert werden.
    Solche Beschwerden aber sind egal, wenn Albert, Brian, Iggy, Ernest und ich bei Sonnenuntergang auf der Veranda des Hotels sitzen und Leonard oder Serge zuhören, die auf dem Klavier eins ihrer Lieder spielen, das von einem zarten Ostwind hinter die Fischerberge getragen wird. Die Gäste lauschen andächtig und sind froh, dass sie hier sind, in meinem Staat. Sie loben die Ruhe, die gute Gesellschaft und den Geruch. Es riecht nach Zimt in der Fischerwelt.
    Sicher, manchmal gibt es auch einen Sturm: Vor einem Jahr war die Fischerwelt bedroht durch Abwanderungen und Landfluchten. Wirbelstürme verwüsteten große Landstriche und zerstörten viele der viktorianischen Holzhäuser. Aber wir haben alles wieder aufgebaut, besonders Ernest hat kräftig angepackt – hier unten ist er wieder ganz der Alte.
    Darum ist es immer tragisch, wenn ich nach einiger Zeit wieder herausmuss aus der Fischerwelt, weil die Welt draußen meine Anwesenheit verlangt. Besonders kurz nach der Rückkehr sind nur Leere und Trauer in meinem Gesicht. »Hallo, jemand zu Hause?«, solche Fragen stellen mir meine Freunde dann, während sie mit ihren Fäusten sanft gegen meinen Kopf hämmern.
    Ich schiebe es meist auf die Zeitumstellung.

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Nachwort von Jana Petersen

    Manchmal, wenn man nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll, hilft eine Liste. Ich habe viele Dinge von Marc geerbt. Bücher, den Schreibtisch, die Gitarre, das Bild mit den zwei halbnackten Mädchen, den Beutel von Lufthansa, auf den er mit Edding gekritzelt hat »Verwirrende Kabel«. In dem auch verwirrende Kabel drin sind. Ich habe seine Zettel geerbt. Seine Notizbücher. Es sind viele, er muss das Glaubensbekenntnis von Jack Kerouac sehr ernst genommen haben.
    Und dann ist da noch: sein Computer.
    In dem Computer ist eine Datei. Sie heißt »The Future«. Wenn sich die Zukunft gerade in nichts auflöst, ist eine Datei mit dem Namen Zukunft erst mal gut. Ich öffne sie. Da steht:
    The Future
     
    Bücher:
    Reportagekollektion »Ich, ich, ich«
    Panther
    Science Fiction
    Hymne für eine vergessene Diktatur
    Krimi (what if the killer is the main guy?)
     
    Shorts:
    Dakar – der Schlag
    Deutschland – das Toupet des Nachrichtensprechers
    Liebe

    Februar 2011, Marc und ich sitzen an dem Tisch, an dem ich jetzt auch gerade sitze. Seine Reporter-Reportagen will er rausbringen, sagt er, am liebsten bei KiWi, so wie damals die Romane. Er hat die Geschichten gesammelt, geordnet.
    Irgendwo muss es also einen Ordner geben.
    Richtig. Da ist er. In dem Ordner »Dinge, Dinge, Dinge« steckt der Ordner »Fischerstorys«. Geschichten, Reportagen, Storys. Geschichten, in denen Marc vorkommt. Geschichten, die er Reportagen nennt, die im Grunde genommen genau das Gegenteil sind von dem, was ich auf der Journalistenschule über Reportagen gelernt habe. Objektivität ist langweilig/egal/nicht möglich, sagt der Ordner voller Fischerstorys. Sagen die Angeber-Geschichten. Die Helden-Storys. Das Fischer-Zeug. Sagen die Situationen-Erzeuger-Geschichten. Die Marc-Geschichten.
    Manche Texte kenne ich. Er hat sie mir vorgelesen, wenn sie fertig waren, an dem dunkelbraunen Kommissar-Tisch, Weinchen, Zigarettchen, Kaffeechen. Ich frage ihn, ob die Geschichten genauso passiert sind, das sei ja wieder mal unglaublich, wie sich das alles so zugetragen hat. Na klar, Swinchen, genau so war es. Er grinst.
    Viele Geschichten kenne ich nicht. Nie davon gehört, nie gelesen. Jetzt lese ich sie alle. Ich lese die Geschichte »Warum ich nie Terrorist werden wollte«. Höre Marc reden. Höre, wie er beim Reden denkt, einen Mäckie-Gedanken. »Vielleicht, denke ich manchmal, ging es der RAF nur um den weißen Wal; vielleicht war Deutschland das mythische
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