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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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einen Schluck Bier. »Außerdem befinden wir uns im Krieg mit den Taliban.«
    »Nach der Monarchie kam nichts Gutes mehr zustande«, sagt Roth und sieht traurig durch mich hindurch, vielleicht in die von ihm so geliebte k. u. k. Vielvölkerstaatszeit. Leider habe ich die Handynummer seines Freundes Otto von Habsburg nicht, ärgere ich mich.
    Zwei Drinks später verlassen Roth und ich das »Soho House«. In dem Restaurant »Grill Royal« bin ich mit meinem Freund Lothar verabredet. »Auch er trägt Vollbart, ist aber ein feiner Kerl, nicht ungebildet«, briefe ich Roth, damit er nichts falsch macht.
    Im »Grill« selbst ist nichts los, darum warten Roth und ich mit Bieren in der Hand vor dem Laden. Die Spree schimmert im Mondlicht, er ist entweder voll oder fünfsechstelvoll, so genau weiß man das beim Mond nie.
    »Ich mag die Spree«, sagt Roth in die Nacht hinein. »Obwohl sie mit der Seine natürlich nur das S gemeinsam hat.« Die Seine ist wichtig in Roths letzter und einer seiner bekanntesten Geschichten, »Die Legende vom heiligen Trinker«. Ein Trinker wie er bekommt Geld von Gott, will es ihm immer wieder zurückgeben und vergeht. Roth mochte Gott, aber gegen die Nazis in Deutschland hatte Gott nichts machen können, darum war Roth nach Paris gegangen und hatte immer mehr getrunken, Wein und Schnaps und Gin schon zum Frühstück.
    »Trinken Sie lieber oder schreiben Sie lieber, Herr Roth?«
    »Ich schreibe lieber, als ich trinke, aber ohne zu trinken schreibe ich nichts«, sagt er. »Ich komme einfach mit der Welt nicht zurande. Ich kenne sie nur, wenn ich schreibe, und wenn ich die Feder weglege, bin ich verloren.« Es ist vor allem dieser Ton, den man nach dem Lesen seiner Texte nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Egal, wovon er schrieb.
    Lothar kommt. Roth und er mögen sich sofort, wir entscheiden, die Friedrichstraße herunterzuwandern zu einer Bar, dem »King Size«.
    Sofort ist klar, dass es dort ganz toll ist: Weil der Laden endlich mal wieder klein ist und nicht riesengroß, wie sonst alles im Berlin der letzten Jahre, weil’s hier ja angeblich so viel Platz gibt. Zu viel Platz hat schon oft geschadet. Wer zu viel Platz hat, sieht sein Gegenüber nicht; wer zu viel Platz hat, kriegt nichts mit und geht unter im industrialisierten Vergnügen. Klubs wie das »Cookies« oder »Weekend« sind mittlerweile leider so geworden.
    Das »King Size« dagegen ist so, wie eine Bar zu sein hat: eng und unbequem, viele aufgeregte Menschen drängen sich davor, Tanzmusik aus dem New York der frühen Achtzigerjahre ist zu hören. Hübsche Frauen rauchen hübsche Zigaretten; der Musiker Maximilian Hecker erzählt traurige Liebesgeschichten; der Autor Moritz von Uslar feiert seinen vierzigsten Geburtstag und trägt einen Hut, den Roth ganz chic findet. Auch die Schriftstellerin Helene Hegemann ist da, sie sitzt auf einem Kantstein, ich erkenne sie an ihrer berühmten Haarfrisur. Schnell erzähle ich Roth von ihrem Wahnsinnserfolg, damit er mitreden kann.
    »Und, kann’se schreiben?«, fragt Roth.
    »Schreiben kann’se, aber manchmal schreibt’se auch ab«, sage ich.
    »Das sollte man eigentlich nicht. Aber sie ist jung, nicht wahr?«
    »Sehr jung. Und sie soll ganz gut saufen können, für eine Achtzehnjährige, heißt es.«
    Lothar kommt mit frischen Wodka Tonics zu uns rüber.
    »Na dann, Prost!«, sagt Roth und lacht, zum ersten Mal richtig an diesem Abend. Das »King Size« ist so gut, dass es ihn all seine Mäkeleien an der Berliner Vergnügungsindustrie mit einem Schlag vergessen lässt. Er flirtet sogar mit einer Amerikanerin, Komikerin aus Los Angeles.
    »Ist das Ausgehen nicht vielleicht der zivilisatorischste Akt, den der Mensch je erfunden hat?«, schreie ich Roth durch den Lärm zu.
    »Neben der Monarchie – JA !«, brüllt er zurück, durch das wunderbare Sirren und Flirren überall.
    Es ist kurz nach fünf Uhr morgens, ich bin schon etwas müde, aber einen Ort muss ich Roth noch zeigen. Es ist die Art Ort, für die Berlin in den letzten Jahren bekannt geworden ist; der Grund, warum so viele Amerikaner, Spanier, Franzosen herkommen: die »Bar 25«. Auf kaum einen Platz könnte man Roths Vergnügungsindustrie-Kritik mehr anwenden als auf diese Bretterbudenlandschaft am Spreeufer zwischen Mitte und Friedrichshain: Tage- und nächtelang tanzen die Menschen hier zu Elektromusik im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit und scheinen reproduzierbare Gefühle abzurufen, viele mit Chemikalien, wenige
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