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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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gut«, sagt Roth und springt auf. Ich gebe ordentlich Gas, um ihn zu beeindrucken, Roth krallt sich fest, es gefällt mir.

    »Warum halten Sie vorm Kaufhaus Jonaß?«, fragt Roth. Wir stehen vor dem Riesengebäude Ecke Torstraße/Prenzlauer Allee, in dem sich seit Kurzem eine Dependance des Londoner Members-Klubs »Soho House« befindet.
    »Es gehörte mal dem Juden Golluber, bis er von den Nazis enteignet wurde. Ich trank mal Schnaps mit ihm, im ›Romanischen Café‹, vor langer Zeit. Stefan Zweig war auch dabei.«
    »Erst hatten die Nazis das Gebäude, dann die Kommunisten und jetzt ist es eine Art Vergnügungspark für junge Leute mit Geld und einflussreichen Bekannten, die darüber abstimmen, ob man mitmachen darf oder nicht«, sage ich, während ich die Helme verstaue.
    »Und Sie sind Mitglied in diesem Verein?«
    »Nein, aber eine Frau hat mich eingeladen, mal vorbeizuschauen.«
    »Solange wir was zu trinken bekommen, soll’s mir recht sein«, sagt Roth. »Aber warum stehen da Tischtennisplatten im Foyer? Sind Bars und Hotels heute Orte, an denen man Sport machen muss, bevor man trinken darf?«
    »Im Berlin von heute manchmal, ja.«
    Es fühlt sich gut an, mit Roth unterwegs zu sein. Es gibt nicht mehr viele Typen wie ihn: Flaneure, die keine Wohnung haben und von Ort zu Ort driften, Heimatlose, die trotz allem immer auf der Suche sind. Roth war schon »on the road«, bevor der Beatnik Jack Kerouac 20 Jahre später diese Art der Existenz berühmt machte, und von überall, wo er war, in Polen, Russland, Deutschland, Österreich, Frankreich, hat Roth Geschichten und Texte mitgebracht, die bis heute zum Schönsten und Traurigsten gehören, was man lesen kann.
    Der Aufzug entlässt uns in die Bar im siebten Stock. Sofort leuchtet Roths Gesicht auf: Ledersofas, ein Rundtresen, livrierte Kellner – hier sieht alles so aus wie in den Hotelbars in Wien und Paris, in denen Roth Bücher wie »Hotel Savoy«, »Radetzkymarsch« und»Hiob« geschrieben hat. Das »Soho House« scheint sich die Zeit Roths zurückzuwünschen, mit dem Unterschied, dass hier keine Maßanzugträger mit Goldfedern an den Bar-Tischen sitzen und Novellen schreiben, sondern bloß ein paar Typen mit MacBooks, die so tun, als würden sie hoch konzentriert arbeiten. Roth will gleich an den Tresen, doch ich ziehe ihn weg, den ersten Drink wollen wir auf der Dachterrasse nehmen, denke ich, die Aussicht wird Roth die Miesepetrigkeit seiner Glosse austreiben.
    »Dit is Ballin!«, sage ich darum und zeige, nicht unstolz, auf den Alexanderplatz und das Regierungsviertel weiter hinten, das im Sonnenuntergangslicht vor uns ausgebreitet liegt.
    »Dit is nich Ballin. Dit is Amerika«, sagt Roth. Er weist auf den grün gekachelten Pool und die Halbnackten, die dort auf Polsterliegen herumliegen. Dialoge auf Englisch umwehen uns, sie handeln von Photography, The Art World und Fashion-Editorials.
    »Obwohl die Sonne scheint, friert mir hier ein bisschen«, meint Roth.
    Es ist unsere erste Begegnung mit der Gleichförmigkeit der internationalen Ausgehkultur, die er in seinem Text beschrieben hat: »In allen Städten ein ganz bestimmter, einheitlicher Typ von jugendlichen, das heißt alterslosen Genießern ... glatt rasiertes Gesicht und straff zurückgekämmtes Haar ... und diese Lässigkeit aus den Modejournalen ... diese falsche Weltmüdigkeit im gläsernen Blick.«
    Und ja, so ist es ein bisschen am Pool des »Soho House«: Ein Großteil der Männer-Fotografen, Chefredakteure, Schauspieler ist in exakt demselben Hautton gebräunt (Medium Bronze); sie scheinen teure Pflegeprodukte zu benutzen und tragen zur Betonung ihrer im Fitnessstudio herausgearbeiteten Brustmuskulatur alle dieselben tief ausgeschnittenen V-T-Shirts zu engen Hosen. Man kann nicht sagen, wie alt sie sind, ob sie schon Kinder haben oder jemals welche zeugen werden. Etwas Homosexuelles ist auch an den Heterosexuellen, die mit ihren schönen Frauen am Pool herumpusseln. Es scheint der uniforme Stil dieser Welt zu sein, die nicht mehr zwischen Job/Freizeit unterscheidet, sondern beides stets für sich beansprucht. Bloß was das Gesichtsdesign betraf, hat Roth sich geirrt: Vollbärte sind häufiger anzutreffen als Glattrasierte.
    »Warum diese ungepflegten Bärte?«, fragt Roth, während wir uns zwei Bier und Hamburger mit Pommes bestellen, da die Küche des »Soho House« nicht für ihre österreichischen Mehlspeisen berühmt ist.
    »Um härter zu wirken vielleicht«, mutmaße ich und nehme
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