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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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Magd bei ihm arbeiten zu dürfen. Er schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Das Kind war dabei, als die Frau ihre eigene, bitterarme Familie um Obdach bat. Doch ihre Großmutter lag im Sterben, die Familie hatte daher andere Sorgen. Das Kind weinte leise, als seine Mutter beim Pfarrer anklopfte, um im Namen der Barmherzigkeit Asyl für sie beide zu erbitten. Würde ich all die Türen aufzählen, an denen die verzweifelte Frau auf der Suche nach Hilfe pochte, stünden wir lange hier. Niemand war bereit, der ledigen Mutter zu helfen. Am Ende stand die Schreckenstat.« Wera schluckte. Noch immer konnte sie nicht an die arme Ruth denken, ohne dass ihr Tränen der Wut und Trauer in die Augen stiegen.
    Ihre Gäste waren ebenfalls bestürzt, wenn auch aus anderen Gründen.
    »Die Umstände mochten tragisch sein, aber die Frau ist und bleibt dennoch eine Kindsmörderin!«, rief ein Mann aus der dritten Reihe.
    EinenMoment lang wurde Wera von einem Gefühl tiefer Resignation übermannt. Würde es nie leichter werden? Würden die Menschen nie dazulernen?
    Das erste »Frauenhaus« im deutschen Kaiserreich. Ein Heim für gefallene Mädchen. Eine Zufluchtsstätte für ledige Mütter. Damit wollte die feine Gesellschaft nichts zu tun haben. Dass ausgerechnet sie, Herzogin Wera von Württemberg, die Gelder für dieses Unterfangen aus eigener Kraft aufbrachte, damit hatte niemand gerechnet. Sie selbst auch nicht. Jahrzehnte hatte sie dafür benötigt. Sie hatte sich von einem Großteil ihres Schmuckes getrennt. Inkognito. Wie einst Olly, die auch verzweifelt Gelder für die Armen auftreiben wollte. Aber das alles brauchte heute niemanden zu interessieren.
    Denn hier standen sie vor dem vollendeten Werk.
    Der Gedanke schenkte Wera neue Kraft und Zuversicht.
    Mit noch mehr Inbrunst in der Stimme setzte sie ihre Rede fort. »Solche Verzweiflungstaten, wie ich sie gerade beschrieben habe, sollen fortan der Vergangenheit angehören. Hier im Weraheim werden all jene Mütter mit ihren Kindern eine Zuflucht finden, die anderswo nicht erwünscht sind. Wir fragen nicht danach, warum jemand auf die schiefe Bahn geraten ist. Uns interessiert auch nicht, ob am Finger einer Mutter ein Ring prangt oder nicht. Wir stellen keine Fragen, wenn eine Frau mit Ehering und blauem Auge hier auftaucht. Wir holen die Frauen von der Straße, wir sorgen dafür, dass sie in einem warmen Bett schlafen und nicht in zugigen Hausfluren. Und während ihre Kinder draußen im Garten spielen, lehren wir die jungen Frauen Verantwortung und einen regelmäßigen Tagesablauf. Sie sollen kochen lernen und nähen, sticken und –« Mit irritiertem Lächeln brach Wera ab, als eine Dame mittleren Alters dazwischenrief:
    »Und wenn wir solche Frauen hier nicht haben wollen? Von wegen Zufluchtsstätte – sollen die Weibsbilder doch anderswo mit ihrer Brut unterkommen! Warum muss so was ausgerechnet in unserem schönen Remshalden stattfinden?«
    »Ja, genau! Mit Mörderinnen und Hurenkindern wollen wir nichtszu tun haben. Die sind im Gefängnis gut aufgehoben!«, rief eine andere Frau.
    Niemand hat die Weiber gezwungen, einen unzüchtigen Lebenswandel zu führen. Nun sollen sie für ihr Lotterleben auch noch mit freier Kost und Logis belohnt werden?« Der Leiter der Lateinschule ereiferte sich so, dass ihm ein Spuckefaden aus dem Mund rann.
    Wera warf dem Mann einen angewiderten Blick zu. Bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte, ertönte rechts von ihr eine Stimme: »So können nur Menschen daherreden, denen das Leben bisher immer wohlgesinnt war. Wer sich einmal selbst in einer schlimmen Notlage befand, fühlt anders!«
    Wera schaute sich um. Die Stimme gehörte einer kräftigen Frau mit roten Wangen und spröden Lippen. Sie sah aus wie jemand, der die meiste Zeit des Tages an der freien Luft arbeitete. Obwohl sie höchstwahrscheinlich viel Mühe auf ihre Frisur verwendet hatte, glich ihr graubraunes Haar dennoch eher einem Krähennest als einer eleganten Hochsteckfrisur. Wera schätzte, dass die Frau ungefähr so alt war wie sie, also Anfang fünfzig. Eine ausgesprochene Schönheit war sie nicht. Noch eine Gemeinsamkeit.
    Wera lächelte. Die Dame war ihr sehr sympathisch.
    »Ich weiß nicht genau, was in solch einem Heim benötigt wird. Aber meine Hühner legen fleißig, ein paar Eier könnte ich gut entbehren. Und eine Kanne Milch ebenfalls. Die jungen Frauen dürfen gern zu mir auf den Hof kommen. Und ihre Kinder können sie auch mitbringen, vielleicht mögen sie mit den
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