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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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Tempo.
    Zufrieden legte sie ihre Bürste weg, dann griff sie nach dem Cremetiegel und begann mit kreisenden Bewegungen ihr Gesicht einzucremen. Die Creme roch nach Blüten und nach Frühling.
    Warum glaubte eigentlich jeder, dass eine Frau nur in der Heirat das einzig wahre Glück fand? Man musste sich doch nur umschauen, um zu sehen, dass dies nicht stimmte! War Olly etwa glücklich? Ihre Tante Cerise? Ihre Mutter? Oder Margitta?
    Am Nachmittag hatte sie ihre Freundin besucht und das übliche Chaos vorgefunden: Margitta, die vor Erschöpfung glasige Augen hatte, wild herumtobende Kinder in schmutzigen Kleidchen, eine Wohnung, die diesen Namen kaum verdiente, so sehr starrte alles vor Dreck. Und mittendrin Josef, der betrunken im Bett lag und wüste Beschimpfungen grölte. Am liebsten hätte Wera dem Mann eine Ohrfeige verpasst, stattdessen hatte sie nur ihren Korb mit frischen Eiern, Wurst und einem Laib Käse auf den Tisch gestellt. Hierwar Hopfen und Malz verloren, das hatte sie im Laufe der Jahre erkannt.
    »Ich warte unten auf dich«, hatte sie der Freundin zugezischt. Kurze Zeit später war Margitta mit allen Kindern erschienen, sie waren ein wenig spazieren gegangen. Ihr Gespräch blieb oberflächlich, Margitta spürte Weras stumme Vorwürfe und befand sich in ständiger Abwehrhaltung. Über ihren dicken Bauch ließen sie beide kein Wort verlauten. Noch ein armes Würmchen mehr, hatte Wera gedacht.
    Auf dem Schlossplatz angekommen, verabschiedeten sie sich. Erleichtert war Wera in ihre Wohnung gegangen. Doch der Gedanke an Margitta verfolgte sie.
    Wenn nicht bald etwas geschah, würde die Freundin vor die Hunde gehen! Spätestens, wenn das nächste Kind zur Welt kam, brauchte Margitta Ruhe und Erholung. Jemand, der gute warme Mahlzeiten für sie kochte. Und der sich darum kümmerte, dass sie und die Kinder saubere Wäsche hatten. Ein Ort des Friedens, an dem Frauen wie Margitta genesen konnten.
    Das Problem war nur: Diesen Ort gab es nicht! Noch nicht.
    Wera zog sich dicke Socken an, dann krabbelte sie in ihr Bett, wo  schon eine Wärmflasche auf sie wartete. Sie seufzte wohlig.
    Immerhin – es gab erste Fortschritte, sie stieß mit ihrem Plan vom Mutter-Kind-Heim nicht mehr überall auf taube Ohren.
    »Eine Mutter ist durch nichts zu ersetzen. Wenn wir den armen Kindern helfen wollen, müssen wir auch ihren Müttern helfen«, hatte sie zu den Damen der Gesellschaft gesagt, mit denen sie Ende November gemeinsam das Stuttgarter Säuglingsheim besuchte.
    Wera war völlig erstaunt gewesen, als ihr plötzlich eine Unternehmergattin aus Fellbach beipflichtete:
    »Wenn man den Frauen ihre Kinder wegnimmt, verlieren sie ihr letztes bisschen Halt im Leben. Die Butzele sind doch unsere Hoffnung, oder etwa nicht?«
    Die anderen Damen hatten sich auf diese Diskussion nicht eingelassen. Wera nahm die Fellbacherin am Ende zur Seite und erzählte ihr von ihrem Vorhaben.
    »EinMutter-Kind-Heim? Was für eine tolle Idee! Ich bin zwar keine Expertin, schätze aber, dass Sie dafür Gelder in sechsstelliger Höhe benötigen. Verehrte Herzogin, Sie haben wirklich ein Lebenswerk vor sich. Wenn es Ihnen hilft, werde ich mit meinem Mann reden. Wir hatten geschäftlich ein gutes Jahr und sind gern bereit, bedürftige Menschen an unserem Wohlstand teilhaben zu lassen. Ich denke, zehntausend Mark wären schon einmal eine große Hilfe für Sie?«
    Wera hatte geglaubt, nicht richtig zu hören. Das erste Spendengeld für ihr Projekt. Und dann gleich so viel!
    Im kommenden Jahr würde sie sich der Angelegenheit noch intensiver als zuvor widmen, so viel stand fest.
    Und Margitta und die Kinder würde sie für ein paar Wochen in eine kleine Pension am Bodensee einquartieren. Irgendwo, wo sie es schön hatte, wo die Kinder im Obstgarten spielen konnten und Margitta auf einer Bank danebensaß, den Blick auf den See gerichtet. Die Kosten würde sie aus eigener Tasche zahlen, sie war ja schließlich keine arme Frau. Der Gedanke munterte Wera so auf, dass sie nochmals aufstand und in Socken zum Schreibtisch ging, wo sie ihre Unterlagen durchwühlte. Irgendwo hatte sie die Adresse einer hübschen Pension in Friedrichshafen …
    Rechnungen, Postkarten, kleine Notizen – während sie alles durchkramte, fiel Weras Blick auf das Gedicht, das sie am frühen Abend spontan verfasst hatte. Elsa hatte es mit einer Bordüre aus Sternen verziert, Olga eine lachende Sonne dazugemalt.
     
    Das neue Jahr
     
    Mitternacht! Die Uhr hat ausgeschlagen,
    Es
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