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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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Schuhe aus, dann drehte sie sich um und tastete unter ihren Unterrock, um die Strumpfbänder zu lösen.
    Der Arzt trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte. »Nun zier dich nicht so, draußen warten noch viele andere darauf, endlich dranzukommen!«
    Mit brennendem Gesicht rollte Lina ihre langen Strümpfe hinunter. Als Letztes legte sie auch ihren langen dunklen Rock ab, bis sie nur noch in Hemd und Unterrock vor dem Arzt stand.
    »Zieh den Unterrock höher, ich muss auch deine Beine sehen.«
    Lina biss die Zähne zusammen und hob den Rock ein wenig. Gerade so viel, dass er noch ihre Knie bedeckte. Noch weiter würde sie nicht gehen. Sie trug darunter schließlich keine dieser Beinkleider, die bei den Damen allmählich in Mode kamen und nur »die Unaussprechliche« genannt wurden.
    Offenbar reichte es. Der Arzt ließ sie sich einmal um sich selbst drehen und sich seitwärts und nach vorne beugen. Dann schaute er ihr in den Mund, klopfte ihre Lunge ab und betrachtete zu guter Letzt noch eingehend ihren Scheitel, um zu sehen, ob sie Läuse hatte. Danach setzte er sich wieder an den Tisch und schrieb etwas in seine Liste.
    »Gut, du scheinst gesund zu sein. Profession?«
    »Entschuldigung?«
    »Was kannst du arbeiten? Als Alleinreisende muss ich dich wie eine Erwachsene behandeln. Also, was soll ich bei Beruf eintragen?«
    Lina war ein wenig ratlos. »Ich kann alles Mögliche. Kochen, putzen, waschen. Und ich kann lesen und schreiben.«
    »Gut, gut. Ich trage dich als Dienstmädchen ein«, brummelte er. »So was wird immer gebraucht.« Er drückte einen runden Stempel auf die Liste neben ihrem Namen, winkte sie zur Seite und wandte sich dann an Rieke. »Jetzt zu dir. Also, junges Fräulein, dein Name ist …« Er blickte auf seine Liste.
    »Friederike Salzmann«, sagte Rieke.
    »Und du bist … zwölf Jahre alt?« In dem Blick, mit dem der Arzt Rieke maß, lag ein zweifelnder Ausdruck.
    Rieke und Lina bejahten fast gleichzeitig.
    »Sie ist klein für ihr Alter«, erklärte Lina schnell und warf Rieke einen warnenden Blick zu. »Aber sehr fleißig.«
    Durch Lügen kam man in die Hölle. Das sagte Pastor Cohausen jedenfalls immer. Dennoch hatte Lina keine andere Möglichkeit gesehen, als im Amtshaus ein falsches Alter für Rieke anzugeben. Außerdem war es eine Notlüge. Sie schadete ja niemandem damit.
    »Wo sind ihre Papiere?«, fragte der Arzt.
    »Sie … sie hat keine«, druckste Lina. »Die … die sind verbrannt.« Auch das war eine Lüge. Aber wenn sie schon beim Alter geschummelt hatte, konnte sie wohl kaum Riekes Papiere vorlegen.
    »Ach, ihre Papiere sind verbrannt, aber deine nicht?« Der Arzt schaute skeptisch. »Nun gut. Dann will ich mir das junge Fräulein mal näher ansehen.«
    Linas Herz schlug schneller, aber sie wagte nicht zu widersprechen. Würde hier und jetzt gleich alles vorbei sein? Sie half Rieke, sich ihrer Kleider zu entledigen, bis ihre kleine Schwester ebenso wie Lina vorhin in Unterwäsche dastand. Und genau wie bei Lina ging der Arzt um sie herum, ließ sie sich drehen und beugen und legte schließlich das Ohr auf Riekes schmalen Rücken.
    »Einatmen«, sagte er. »Und ausatmen. Und jetzt husten.«
    Unwillkürlich hielt Lina die Luft an und lauschte auf den leise rasselnden Atem ihrer Schwester, der jetzt in ein schleimiges Husten überging.
    »Und noch einmal.« Erneut erklang der Husten.
    »Sie hat sich auf der Reise erkältet.« Lina schaute ihn hilflos an.
    »Du kannst dich wieder anziehen.« Der Arzt gab Rieke einen Wink, dann wandte er sich an Lina. »Ich denke nicht, dass das eine Erkältung ist. Hört sich eher nach Asthma bronchiale an. Und damit kann ich sie nicht mitreisen lassen.«
    »Was?« Linas Mut sank ins Bodenlose. »Aber … aber sie muss mitkommen. Bitte, Herr Doktor, Sie … Sie müssen es ihr erlauben!« Unwillkürlich stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie blinzelte sie hastig fort.
    »Ich muss? Ich muss gar nichts, junges Fräulein. Ich fasse noch mal zusammen: Sie leidet an Asthma. Sie hat keine Papiere. Sie ist nur in Begleitung ihrer älteren Schwester hier, die noch nicht erwachsen ist. Und ich möchte bezweifeln, dass sie wirklich schon zwölf Jahre alt ist. Schon ein einziger dieser Faktoren würde reichen, ihr die Ausreise zu verweigern.«
    »Aber sie … sie kann hart arbeiten. Und ich kümmere mich doch um sie!«
    »Bedaure«, sagte der Arzt und schüttelte den Kopf. »Aber ich kann sie nicht mitfahren lassen. Nur dich allein.«
    Lina hob
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