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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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du? Sie bezahlen sogar die Überfahrt.«
    Gemeinsam steckten sie die Köpfe über der Zeitung zusammen.
    »›Auswanderer gesucht‹«, las Lina laut vor. »›Die Neuseeland-Compagnie nimmt noch Anmeldungen für eine freie Überfahrt nach Nelson in Neuseeland an.‹«
    »Wo liegt Neuseeland?«, wollte Rieke wissen und schluckte den letzten Rest Brot hinunter.
    Das wusste Lina auch nicht so genau. »Irgendwo hinter dem Meer. Weit weg.« Sie beugte sich erneut über die Anzeige. »›Gesucht werden Ausreisewillige von stabiler Gesundheit, die sich durch energische Tätigkeit, Festigkeit, Entschlossenheit und vor allem ein heiteres Gemüt auszeichnen. Besonders geeignet sind Familien mit Kindern, bei denen die Eltern die vierzig nicht überschritten haben, des Weiteren Landarbeiter, Schäfer, Minenarbeiter, Gärtner, Ziegelhersteller, Mechaniker, Handwerker und Hausangestellte. Außerdem alleinstehende Frauenzimmer zwischen zwölf und fünfunddreißig Jahren, die sich durch Bescheidenheit, Fleiß und sittlichen Lebenswandel auszeichnen. Qualifikation und Charakter werden einer strengen Prüfung unterzogen. Anmeldungen montags, dienstags und samstags im Amtshaus von Grevesmühlen. Im Auftrag von J. F. und C. F. Kelling, concessionierte Auswanderungs-Agenten, Klütz.‹«
    Die letzten Sätze hatte sie immer langsamer vorgelesen. Jetzt schossen ihr Tränen in die Augen. Wieso hatte sie bloß nicht früher darauf geachtet? Die Reise schien zu enden, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Musste sie nun doch noch zu Dr. Kahles und ihre schönen Zähne opfern?
    »Wie fein!«, rief Rieke vergnügt. »Dann gehen wir gleich morgen nach Grevesmühlen!«
    Lina schüttelte den Kopf. »Wir können nicht nach Neuseeland«, erwiderte sie tonlos. »Du bist erst zehn!«
    Rieke sah sie bestürzt an und wischte sich einen Krümel aus dem Mundwinkel, doch dann lächelte sie. »Du findest schon eine Lösung«, sagte sie. »Das hast du doch immer getan.«

Kapitel 2
    ››Chapeaurouge & Co‹‹, stand auf dem Schild über dem Eingang. Zwei lange Menschenschlangen führten in das große Gebäude in der Nähe des Hamburger Hafens: auf der einen Seite die Männer, auf der anderen die Frauen. Lina stand zusammen mit Rieke bei den Frauen und konnte es noch immer kaum glauben, dass sie es tatsächlich bis hierher geschafft hatten. Es war gar nicht schwer gewesen, sich und Rieke im Amtshaus von Grevesmühlen für die Auswanderung anzumelden. Sie hatte nur ein bisschen schummeln müssen. Nun musste nur noch hier alles klappen.
    Ein feiner Sprühregen benetzte die Wartenden. Lina fuhr sich nervös über ihre Haare. Wie es Mode war, trug sie es in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem einfachen Knoten gebunden. Zur Feier des Tages hatte sie diesmal auch noch zwei geflochtene Zöpfe seitlich zu Schlingen hochgefasst, den sogenannten Affenschaukeln. Sie war froh über die mehreren Schichten von Kleidung, die sie übereinandergezogen hatte, auch wenn sie sich damit dick und unbeweglich vorkam. Rieke war auf die gleiche Weise ausstaffiert.
    Lina umklammerte ihre schäbige schwarze Reisetasche, die ihrem Vater gehört hatte und in die sie alles gestopft hatte, was sie beide besaßen. Viel war es nicht. Nur ein paar Hemden und Strümpfe, dazu noch Handtücher, Kamm, Seife, Besteck, Teller und Becher. Vor ihnen stand Frau Fanselow mit ihren vier Töchtern. Herr Fanselow und seine zwei fast erwachsenen Söhne warteten in der anderen Schlange. Die Familie aus Boltenhagen hatte Lina und Rieke kurzerhand auf ihren beiden Fuhrwerken mitgenommen – eines für die Personen, das andere für das Gepäck. Drei Tage waren sie mit den rumpelnden Wagen unterwegs gewesen; von Klütz über Dassow nach Lübeck, hatten in Scheunen und Ställen übernachtet, bis sie gestern Abend endlich in Hamburg angekommen waren.
    Die große Stadt und die vielen Leute schüchterten Lina ein; selbst Rieke, die sonst ständig plapperte, sagte kaum ein Wort. Noch nie hatte sie so viele Menschen auf einmal gesehen. Oder geglaubt, dass es so große Städte geben konnte. Am Rand des großen Platzes vor dem Gebäude standen die Fuhrwerke und Karren, mit denen die meisten der Auswanderungswilligen hierhergekommen waren. Darauf stapelten sich Koffer, Kisten und Seesäcke, manch einer hatte sogar einen Tisch und Stühle mitgebracht. Am Hafen wurde ein Schiff entladen, hin und her schallten die Rufe der Seeleute. Der Fluss roch faulig und nach Fisch. Ein Ochse, der vor einen der Karren
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