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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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der Grenze zwischen feuchtem und trockenem Sand hatte das Wasser einen Saum aus Seetang und zerbrochenen Muschelschalen zurückgelassen. Hier war der fischige Geruch des Meeres am stärksten. Eine kleine Sandbank erhob sich aus dem niedrigen Wasser, einige Möwen hatten sich darauf niedergelassen.
    »Sieh mal«, rief Rieke aufgeregt, als Lina sie erreicht hatte. »Ich hab schon ganz viele Muscheln gefunden!«
    Das Mädchen wies auf den löchrigen Eimer. Wenn man die Schalentiere für eine Weile in heißes Wasser warf, konnte man sie essen. Sofern es ihnen gelang, mit ihren letzten feuchten Zündhölzern Feuer zu machen.
    Lina musste über den Eifer ihrer kleinen Schwester lächeln. Dann wurde sie wieder ernst. »Du weißt doch, dass du das nicht tun sollst! Es ist viel zu kalt am Wasser, und du hast keine Schuhe an!«
    »Ich wollte nicht, dass sie schmutzig werden.« Rieke hob ein Bein und rieb ihre sandigen Zehen an der nackten Wade. Ihre Füße waren schon ganz blau gefroren. Sie hustete.
    Mit Sorge bemerkte Lina das rasselnde Geräusch, das aus Riekes Brustkorb kam. Sie zog die Schwester mit sich bis zum Anfang der Düne, wo der alte Badekarren stand, der ihnen seit Kurzem als Unterschlupf diente – weit genug weg vom Wasser, um auch bei Flut nicht umspült zu werden.
    Ihr Vater hatte gehofft, mit dieser Neuheit sein kümmerliches Gehalt als Schulmeister aufbessern zu können. Niemand aus Boltenhagen wäre auf die Idee gekommen, in den kühlen Fluten der Ostsee zu schwimmen. Aber seit einigen Jahren gab es hier Badegäste, für die man an sonnigen Tagen die Karren mit einem Pferdefuhrwerk ins Wasser fuhr. Dort konnten die Gäste sich dann im Schutz einer herabgelassenen Markise umziehen und baden.
    Aber jetzt war ihr Vater tot und ihre kleine Hütte war zurück an den Eigentümer gefallen, weil sie die Miete nicht zahlen konnten. Dabei hatten sie schon fast alles, was von irgendeinem Wert war, ins Pfandhaus gebracht. Die Uhr des Vaters, das gute Sonntagsgeschirr. Lina hatte sogar die Silberknöpfe von ihren Jackenärmeln gelöst, auf die sie so stolz gewesen war, und verkauft. Von Stolz wurde man nicht satt. Das Einzige, was ihnen jetzt geblieben war, war dieser alte Badewagen. Er war mit grünen und weißen Streifen bemalt, aber die Farbe blätterte bereits ab. Eines der Räder war gebrochen; sie hatten die Schieflage notdürftig mit etwas Treibholz abgestützt. Durch das Dach regnete es, sodass sie die Tropfen in einer alten Schüssel auffingen, und drinnen war es so eng, dass die Mädchen dicht aneinandergedrängt schlafen mussten. Lina konnte sich nicht einmal ganz ausstrecken.
    »Wo warst du?«, wollte Rieke wissen, während sie ihren Eimer mit den Muscheln abstellte.
    »Das ist jetzt nicht wichtig. Aber schau, ich hab dir was mitgebracht.« Lina reichte ihr das eingepackte Brot und sah zu, wie ihre Schwester es fast genauso schnell verschlang wie sie selbst vorhin.
    »Oh, ist das gut …!«
    Aus Linas Haarknoten im Nacken hatten sich ein paar dicke honigblonde Strähnen gelöst. Ungeduldig öffnete sie ihr Haar ganz und drehte es wieder ordentlich zusammen.
    »Rieke, ich …« Sie musste noch einmal Atem holen, so aufgeregt war sie. Ihre Finger zitterten, als sie den Knoten im Nacken wieder feststeckte. »Ich weiß, was wir machen werden. Wir … wir werden nicht hierbleiben. Wir werden auswandern.«
    Rieke sah sie mit großen blauen Augen an und hörte für einen Moment auf zu kauen. »Nach Amerika? Wie Papa es wollte?«
    Lina schüttelte den Kopf. »Nein. Nach Neuseeland.« Sie versuchte, die Zeitung aufzuschlagen, aber ein scharfer Wind blies den feinen, hellen Sand über die Blätter und ließ die Seiten flattern. »Lass uns in den Wagen gehen, dann zeige ich es dir.«
    Im Badekarren war es zwar eng, aber wenigstens waren sie hier vor dem Wind geschützt. Auf der einen Seite des Karrens war eine schmale Bank befestigt, unter der sie Teller, Tassen und zwei Töpfe aufbewahrten, die sie aus ihrer alten Küche hierher mitgebracht hatten. In dem einen Topf machten sie Feuer, sofern sich genügend Treibholz dafür fand, in dem anderen kochten sie. Ihre sonstigen Habseligkeiten hingen an den vorhandenen Haken. Rieke hatte außerdem überall bunte Muscheln und kleine Steine verteilt, die sie am Strand aufgelesen hatte.
    Lina schlug die Zeitung auf und breitete sie auf dem Boden des Karrens aus. Hektisch blätterte sie um, fand nicht, was sie suchte, blätterte zurück. Da! Sie deutete auf die Anzeige. »Siehst
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