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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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bürokratische Zeitverschwendung …« Sie zog sich eine Haarsträhne aus dem Nacken, zwirbelte sie verärgert zwischen den Fingern und steckte sie wieder fest. »Paul ist völlig … Na, Sie können sich’s ja denken. Oh, ich habe so eine Wut gekriegt. Ich sagte, wenn er nicht in den Hubschrauber darf, dann würde ich selbst einen mieten und Paul fliegen. Diese Armleuchter.«
    Russ grinste unwillkürlich. »Können Sie sich das denn leisten?«
    »Nein.« Sie sah zu ihm auf und grinste ebenfalls. »Aber ich glaube, die Vorstellung, dass eine Geistliche einen Hubschrauber fliegt, hat sie so verblüfft, dass sie sich etwas anderes einfallen ließen. Wie sich herausstellte, haben Paul und Emil eine gegenseitige Patientenvollmacht. Wir haben uns vom Washington County Hospital eine Kopie faxen lassen.« Sie sah kurz zurück zur Tür der Notaufnahme. »Ich muss jetzt den Wagen holen. Emil ist jede Minute transportbereit, und ich fahre Paul. Der Heli landet auf dem Parkplatz der Feuerwache von Glens Falls/West – keine Ahnung, wo das ist. Wenn ich mich nicht an den Krankenwagen dranhänge, verirre ich mich bestimmt.« Sie legte Russ eine Hand auf den Unterarm. »Sie kommen doch mit, oder?«
    Er verspürte den bizarren Impuls, ihre Hände zu nehmen und sie zu küssen. Aber er verdrängte diesen Gedanken und nickte. »Auf jeden Fall. Holen Sie Ihren Wagen, dann fahre ich Ihnen nach.« Sie warf ihm ein kurzes, strahlendes Lächeln zu. Dann rannte sie im Laufschritt davon, und ihr langer schwarzer Rock flatterte ihr um die Knöchel. Wie, zum Teufel, schaffte sie es nur, so verdammt nett, offen und normal zu sein, dass er sich in ihrer Nähe wie ein Siebzehnjähriger vorkam? Er war ihr seit letztem Dezember, als er diese unsichtbare Grenze überschritten hatte, aus dem Weg gegangen. Seine Gefühle, sagte er sich, müssten eine Art von Midlife-Schwachsinn sein, und durch Distanz würde ihm Clare gleichgültig werden. Aber es hatte nicht geklappt, so viel stand fest. Wenn er sie zufällig im Park entdeckte, wenn er ihr im Supermarkt über den Weg lief oder auch nur, wenn er am Pfarrhaus vorbeifuhr, krampfte sich etwas in seiner Brust zusammen und er bekam einen Kloß im Hals. Vielleicht wäre es ja besser so – einfach als Freunde weiterzuleben und diese andere Geschichte außen vor zu lassen. Verdammt – wenn er sich normal benähme, vielleicht würden dann auch seine Gefühle wieder normal.
    Eine Explosion von Geräuschen und Bewegungen lenkte seine Aufmerksamkeit zurück zur Notaufnahme. Zwei Sanitäter, ein Arzt und eine Krankenschwester schoben in kontrollierter Eile eine Bahre auf das offene Heck des Rettungswagens zu, der in der Einfahrt wartete. Zwischen den Menschen, die Emil umgaben, konnte Russ einen Blick auf ihn erhaschen und verzog schmerzlich das Gesicht. Lieber Gott. »Vorsicht! Langsam! Damit sich die Schläuche nicht verheddern!«, sagte der Arzt, während er sich ins Heck stemmte und die Sanitäter den angeschnallten Körper hineinbugsierten. Dann reichte die Krankenschwester den Infusionsständer nach, den sie über ihrem Kopf hielt, und kletterte ebenfalls auf ihren Platz.
    Wieder glitt die Notaufnahmetür zischend auseinander, und Paul erschien in Begleitung einer zweiten Krankenschwester. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck, den Russ aus Vietnam kannte: wenn ein Mann vor den Augen seines besten Kameraden in Stücke gerissen wurde. Eine Mischung aus Schock, Furcht und schrecklicher Erkenntnis. »Paul!«, rief Russ ihm zu. Der hünenhafte Mann blickte auf. »Clare holt gerade ihren Wagen. Ich fahre Ihnen nach, zum Landeplatz.« Paul nickte, als wäre sprechen momentan zu viel für ihn.
    Einer der Sanitäter hatte die Bahre im Wagen festgeschnallt und sprang gerade aus dem Heck, da bog ein kleiner rot-weißer Shelby Cobra mit quietschenden Reifen in die Einfahrt. Clare saß am Steuer. Sie winkte Paul, der mit schwerfälligen Schritten herüberkam und sich auf den winzigen Beifahrersitz quetschte. Der Sanitäter schlug das Heck des Rettungswagens zu, verriegelte es, hastete hinter den Lenker, und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung, noch ehe die Tür ganz geschlossen war.
    Russ und die Ambulanz ließen ihr Blau-und ihr Rotlicht den ganzen Weg über eingeschaltet. Russ konnte die Erinnerung an Emils zerfleischtes Gesicht nicht abschütteln. Freunde waren sie nur durch ihren Beruf gewesen – für jemand, der in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, hatte Emil verdammt wenig echte Freunde, wurde Russ plötzlich
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