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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Streife.«
    »Sie kennen seinen Dienstplan?« Paul machte ein verwundertes Gesicht.
    »Ich habe ein gutes Gedächtnis für Zahlen und Uhrzeiten. Naturtalent. Jetzt gehen Sie.«
    Ächzend erhob sich Paul von seinem Stuhl. »Wahrscheinlich wieder so ein verirrter Alzheimer-Patient.«
    Clare unterdrückte ihren Drang, dem Direktor des Altenpflegeheims zu folgen, konnte es sich aber nicht verkneifen, den Kopf zu drehen. Sie wollte zu gerne wissen, was los war. Russ machte ein ernstes Gesicht, ein todernstes. Es wirkte trotz seiner Sonnenbräune im Licht der Neonlampen bleich und erschöpft. Als Paul zu ihm kam, nahm er sein stählernes Brillengestell ab. Dann fasste er den riesenhaften Mann an der Schulter und zog ihn näher heran. Ein Gefühl der Unruhe regte sich in Clares Magen, gefolgt von einer Art Krampf und Übelkeit, als Paul sich abrupt aus Russ’ Griff befreite und gegen die Wand sackte.
    Bis Clares Blick und der von Russ sich wieder trafen, war sie schon aufgesprungen und bahnte sich unter vielen Entschuldigungen einen Weg durch das Gedränge im Mittelgang. Der Chief gab ihr mit einer ruckartigen Kopfbewegung ein Zeichen. Paul lehnte am Aushangbrett, das Gesicht einem rosafarbenen Zettel zugewandt, der die Sperrmüllabholung für den Sommer bekanntgab. Seine mächtige Faust war zusammengeballt und zitterte.
    »Was ist?«, fragte Clare leise. »Irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Emil«, sagte Paul. »Er wurde überfallen.«
    Clare blickte auf. »Ich wüsste nicht, dass ich jemanden namens Emil kenne.«
    Russ setzte seine Brille wieder auf. »Emil Dvorak. Unser Gerichtsmediziner.« Seine dünnen Lippen pressten sich zu einem Strich zusammen. »Guter Bekannter von mir. Man hat ihn vor einer Weile an der Route 121 entdeckt. Sieht aus, als hätte er einen Zusammenstoß gehabt und wäre von der Straße abgekommen.« Russ kniff sich unter der Brille in den Nasenrücken. »Er wurde überfallen. Zusammengeschlagen. Liegt jetzt im Glens Falls Hospital.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf Paul. »Emil ist Pauls, äh, Freund.«
    »Lieber Gott.« Clare drückte Paul eine Hand auf die Schulter. Dann trat sie näher heran, um ihm ihren anderen Arm auf den Rücken zu legen. »Oh, Paul, das tut mir so leid.« Sie hatte zwar gewusst, dass Paul in einer Beziehung lebte, aber bei ihren Gesprächen im Altenpflegeheim war nie ein Name gefallen. Sie sah zu Russ. »Wir sind zusammen hier. Ich fahre ihn zum Krankenhaus.«
    »Danke, das schaff ich schon. Mir fehlt nichts«, antwortete Paul mit hauchdünner Stimme – ein seltsamer Laut von einem so großen, kräftigen Mann. Als sie ihn hörte, tat es Clare in der Seele weh. Paul straffte sich und schaute sich um, als hätte er das Rathaus noch nie gesehen.
    »Nein. Clare hat Recht. Sie sollten nicht fahren, Paul.« Russ strich sich mit einer Hand durch sein schütteres braunes Haar. »Glauben Sie, Sie finden das Glens Falls Hospital?« Clare nickte. »Okay, dann treffen wir uns dort.«
    Russ hielt ihnen die Tür auf, während Clare Paul aus dem Sitzungssaal schob. Trotz der heißen Luftschwaden, die vom Asphalt aufstiegen, zitterte sie, als sie Russ’ letzte, geflüsterte Anweisung aufschnappte: »Beeilen Sie sich.«

3
    D as wirbelnde Rotlicht auf Russ’ Streifenwagen ergab zusammen mit dem grellen Blaulicht der Ambulanz einen Stroboskopeffekt, als er zur Notaufnahme des Glens Falls Hospital einbog. Er parkte auf einem Platz, der mit »Reserviert für Polizei« markiert war, und stieg aus der relativen Kühle seines Autos in die drückende Schwüle eines aufziehenden Gewitters. Mit energischen Schritten überquerte er den Asphalt und war schon fast an der Notaufnahme, da glitt zischend die Tür auseinander, und Clare kam herausgewankt. Einzelne Strähnen hingen aus ihrem Haarknoten, und ihr Gesicht war so eingefallen, dass ihre hohen Wangenknochen und ihre Nase sich scharf abhoben. Bei Russ’ Anblick machte sie den Mund auf.
    »Gott sei Dank, da sind Sie ja.« Sie packte ihn am Ärmel seiner Uniform und zog ihn von der Tür weg. »Es steht schlimm um ihn. Sie bereiten ihn für einen Rettungsflug nach Albany vor.«
    »Großer Gott. Können die ihn nicht mit dem Krankenwagen fahren?«
    »Nein. Gehirnerschütterung. Ich habe nicht mal die Hälfte von dem verstanden, was der Arzt zu Paul sagte, aber anscheinend kommt es auf jede Minute an. Es war schrecklich da drinnen, Russ. Sie wollten Paul nicht mitfliegen lassen, weil er kein Ehepartner oder Blutsverwandter ist. So eine blöde,
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