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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Priesterkragen zu lösen. Da saß sie am letzten, schweißtreibend schwülen Juniabend neben einem lebenden Heißwasserkessel – auf einer Bürgerversammlung, die schon eine Stunde länger dauerte als geplant.
    »Ja bitte. Everett Daniels hat das Wort.«
    Ein schlaksiger Mann mit schütterem Haar stand auf. »1976 damals, als das ganze Trara losging, da hieß es, wir bräuchten nichts zu befürchten, weil wir flussaufwärts von den Fabriken in Fort Edward und Hudson Falls wohnen, wo sie dieses PCB-Zeug verwendeten. Darf ich das jetzt so verstehen, dass es durch den Hudson nach Millers Kill raufkommt?«
    »In unserem Fluss, Everett, wurden erhöhte PCB-Werte festgestellt. Natürlich fließt das Wasser nicht rückwärts, ganz klar. Aber wir sind schrecklich nah an den Kontaminationszentren, unser Fluss mündet nur ein paar Meilen von hier in den Hudson, und die Leute vom staatlichen Umweltschutz wissen nicht, wo das Zeug herkommt – aus dem Hochwasserbett, übers Grundwasser oder sonst wie.«
    Eine Frauenstimme durchschnitt die Luft wie ein Peitschenhieb. »Warum sagen Sie nicht die Wahrheit? Das Zeug kommt von dieser verdammten Giftmülldeponie im Steinbruch, die wir 1970 genehmigt haben! Und der Bau des neuen Freizeitbades wühlt die Chemikalien wieder auf, sodass sie geradewegs in unser Gemeindegebiet fließen!«
    »Mrs. Van Alstyne, ich habe gebeten, dass jeder, der etwas zu sagen hat, sich vorher zu Wort meldet!«
    Clare fuhr fast von ihrem Stuhl hoch. Von den Van Alstynes kannte sie nur einen persönlich: Russ, den Polizeichef. Seine Frau Linda war angeblich ganz hinreißend. Clare versuchte, die feuchten Strähnen zurückzuschieben, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst hatten, und reckte den Hals.
    Eine kleine Dame, etwa Anfang siebzig, hatte sich erhoben. Sie war fest und stämmig wie ein Hydrant, und ihre dichte weiße Dauerwellenfrisur reichte kaum über die Köpfe der Platznachbarn. Clare bemühte sich, um diese Leute herumzuschauen. Sie sah keine Linda Van Alstyne – niemanden, der als Russ’ Frau in Frage kam.
    »Ich habe es schon 1970 gesagt, und ich sage es heute: Diese PCB-Deponie ist und bleibt ein Riesenfehler. Es hieß damals, sie wäre luft-und wasserdicht, und man hielt den Stadtverordneten ein dickes Geldbündel unter die Nase, bis sie schließlich umkippten und ihren Segen dazu gaben. Dann hat man dieses vermaledeite Zeug in den alten Tonschiefer-Steinbruch geschafft, selbst wenn jeder Geologielehrer – so wie seinerzeit du selbst, Jim Cameron – Ihnen hätte sagen können, Tonschiefer ist ein sehr poröses, sehr durchlässiges Gestein!« Sie drehte ihren Kopf zu den Platznachbarn. »Also undicht!«
    »Mrs. Van Alstyne, ich muss protestieren!«, sagte der Bürgermeister. Und da erkannte Clare: Das war gar nicht Russ’ Frau. »Das ist seine Mutter«, sagte sie halblaut. Paul Foubert sah sie verwundert an. Clare fühlte ihre Wangen noch wärmer werden.
    »Der Staat hat das Gelände ’79 saniert«, fuhr Bürgermeister Cameron fort. »Die letzten Untersuchungen weisen zwar Spuren von PCB nach, aber in einem akzeptablen Rahmen.«
    »Ja, klar! Das Dreckszeug ist ja auch auf den Felsgrund abgesickert. Und jetzt kommt BWI-Bau mit der gleichen Leier wie damals, nur werden uns heute viele Touristendollars und viele Arbeitsplätze versprochen. Und was tut der Bauausschuss? Er kippt wieder um und gibt seinen Segen, dass BWI auf den über fünfzig Hektar des Landry-Anwesens mit Baggern und Sprengen anfangen darf. Jetzt arbeiten sie drei Monate dort, und plötzlich finden wir PCB im Spielplatz der Dewitt-Grundschule. Dieses Zeug verursacht Krebs, und es ist in unserem Kinderspielplatz!«
    »Könnten wir die Hysterie vielleicht sein lassen und uns schlicht an die Fakten halten!« Eine kantige blonde Frau in der ersten Reihe stand auf. Im Gegensatz zur legeren Kleidung der übrigen Teilnehmer an diesem Mittwochabend war ihr Kostüm so streng geschnitten, dass es kugelsicher wirkte. »Vor dem Beginn der Bauarbeiten mussten wir uns erst einmal eine Genehmigung vom Umweltschutzamt besorgen. Das hat zwei Jahre gedauert. Zwei Jahre! Der Steinbruch wurde untersucht. Das Wasser. Sogar die verfluchten Bäume, soviel ich weiß. Und das Ergebnis: Die PCB-Werte auf dem Baugrundstück sind akzeptabel. Akzeptabel. Die Werte. Kann sein, dass im Fluss mehr von dem Zeug ist, aber es besteht kein Grund, so zu tun, als wäre mein Land eine einzige Giftmüllhalde!«
    »Verdammt, Peggy, warte gefälligst, bis du dran
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