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Die Risikoluege

Die Risikoluege

Titel: Die Risikoluege
Autoren: Klaus Heilmann
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Fabrikmanagements fahrlässig gelagert worden, auch das Mutterunternehmen in den USA wusste, dass die Sicherheitsvorschriften im indischen Werk nicht eingehalten werden. Doch die Fabrik schrieb rote Zahlen. So wurden Facharbeiter entlassen und Tagelöhner mit Sicherheitsaufgaben betraut, die sie nicht verstanden, Wartungsintervalle verlängert und billige Austauschteile aus einfachem Stahl anstelle von Edelstahl verwendet. Sprinkleranlagen, die das Ausmaß der Katastrophe wenigstens etwas hätten reduzieren können, wurden falsch angebracht und das Kühlsystem war, obwohl MIC sehr schnell verdampft und daher gekühlt werden muss, aus Spargründen etwa fünf Monate vor dem Unfall ganz abgeschaltet worden. Aber selbst bei einwandfreier Funktion der Sicherungssysteme wären diese nicht in der Lage gewesen, einen Störfall derartigen Ausmaßes abzufangen.

    Eine chemische Produktionsfabrik dieser Art hätte eigentlich so nahe an einem dicht besiedelten Gebiet gar nicht errichtet werden dürfen, doch korrupte Politiker hatten den Bau genehmigt. Sie sahen genauso wie das Management von Union Carbide in dem Wohngebiet der Armen einen Pool von billigen Arbeitskräften.
    Kaum war die Fabrik in Betrieb, schraubte das indische Management des Unternehmens die Sicherheitsstandards herunter, die Sicherheitsausbildung der Arbeiter wurde von sechs Monaten auf zwei Wochen reduziert. Immer wieder kam es zu schweren Unfällen. Aber Management und Politik wollten nur Erfolge sehen und von Gefahren nichts wissen.
    Bis heute ist nicht geklärt beziehungsweise wurde nicht offengelegt, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Verschiedene Möglichkeiten wurden diskutiert, natürlich auch Sabotage (ein gerne verwendetes Motiv). Vor allem wurden die schlecht ausgebildeten und wenig motivierten indischen Bedienungskräfte als Ursache angeführt. Aber möglicherweise war gar nicht das Personal verantwortlich, denn eine eingehende Untersuchung der Anlage zeigte, dass sie sich in einem derart schlechten Betriebszustand befand, dass niemand sich auf die Instrumente verlassen konnte und mehrere Sicherheitsvorkehrungen außer Betrieb waren. Auch wurde nie genau gesagt, welchen Giften die Menschen damals wirklich ausgesetzt waren. War es nur MIC? Bereits 1981 war ein Arbeiter gestorben, nachdem aus einem Leck das Giftgas Phosgen ausgetreten war.
    Nach Angaben der indischen Regierung starben bis zu 10 000 Menschen in den ersten drei Tagen, Menschenrechtsorganisationen sprechen von bis zu 30 000 Todesopfern. 150 000 bis 600 000 Menschen leiden gesundheitlich
bis heute an den Spätfolgen, das Gift wirkte bei vielen mit Verzögerung. Zudem kam es zu einer immensen Vergiftung der Umwelt. Die unterschiedlichen Angaben über Opfer beruhen vor allem darauf, dass es keine genauen Bevölkerungszahlen gibt.
    Auf dem Fabrikgelände lagern nach Angaben von Umweltaktivisten noch immer tonnenweise giftige Chemikalien, die den Boden und das Wasser in einem Umkreis von bis zu fünf Kilometern verseuchten. Tausende weitere Tonnen befinden sich in sogenannten Verdunstungsteichen, in denen Union Carbide über Jahre hinweg seine Abfälle geworfen hatte. Eine Sanierung des mit Quecksilber und krebserregenden Chemikalien vergifteten Geländes erfolgte bis heute nicht, obwohl nach einer Greenpeace-Studie die Kosten lediglich in der Größenordnung von 30 Millionen Dollar lägen.
    Und in diesem gesundheitsgefährdenden Gebiet leben die Opfer genauso wie in den ersten Jahren nach der Katastrophe. Fast alle sind krank, inzwischen auch die Kinder und Kindeskinder. Alle sind bettelarm, kaum jemand bekommt Hilfe, kaum jemand hat Arbeit. Hilfe für diese Menschen ist nicht zu erwarten, denn Bhopal liegt weit weg von uns und die Katastrophe geschah vor langer Zeit.
    Union Carbide weigerte sich seinerzeit, die Verantwortung für die Katastrophe zu übernehmen und verwies als Ursache auf Terrorismus oder Industriesabotage. Amerikanische Anwälte boten darauf hin den Opfern ihre Hilfe in Form von Sammelklagen an, doch die indische Regierung kam dem zuvor. In einem außergerichtlichen Vergleich einigte sich die Politik mit dem Management von Union Carbide auf eine Zahlung von 470 Millionen Dollar. Man wollte den Ruf des Wirtschafts- und Industriestandortes
Indien nicht gefährden, so die Begründung, und hat der US-Firma damit Forderungen der Opfer in Milliardenhöhe erspart. Oder sollte man sagen, man hat es den Ärmsten der Armen trotz Leid und Not weggenommen?
    Anfang 2001 wurde
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