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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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muß. Er hofft aber, daß es das wenigstens sein kann.
Stanislaw Lem
Die demographische Implosion
    In den Garten Trurls, des
gelehrten Roboters, fällt ein Meteorit aus Eis, darin ein Wesen
von Menschengestalt eingeschlossen ist, in der Hand einen Becher
gefrorenen Schierlingssaftes. Nachdem es gelungen ist, das Wesen
aufzutauen und wiederzubeleben, erzählt es seine Geschichte:
    Froh stehen wir in so erlauchter Runde, um unsere
Geschichte zu erzählen, wenngleich sie Staatsgeheimnis ist. Wir
werden sie offenbaren, weil uns Dankbarkeit leitet, die stärker
ist als Staatsräson. Dieser Becher voll knochenhart gefrorenen
Schierlings, den der wohltätige Trurl aus unserer vor Kälte
erstarrten Rechten herausgelöst hat, sollte nicht nur einem,
sondern Millionen das Leben nehmen. Wir sind nämlich nicht der,
für den ihr uns haltet. Wir sind kein Roboter noch ein Wahndroid,
der leichtfertig nach dem Gift gegriffen hat, und auch nicht das
Urgeschöpf, Mensch genannt, obwohl wir tatsächlich
äußerlich dem letzteren gleichen. So ist es nicht. Wir
sprechen auch nicht aus Angeberei im Pluralis majestatis zu euch,
vielmehr aus grammatischer, historisch bedingter Notwendigkeit, die ihr
am Schluß unserer Erzählung verstehen werdet.
    Sie begann an den glückseligen Gestaden des
Planeten Semenia, unserer einstigen, wie der Name sagt, überaus
fruchtbaren Heimat. Wir sind dort auf eine Weise entstanden, über
die auszulassen sich nicht lohnt. Die Natur bedient; sich ihrer
überall und immer, da sie einen uralten Hang zu Autoplagiaten hat.
Schlamm ward aus dem Meer, aus Schlamm kam Schimmel her, das ist die
ururalte Mär! Der Schimmel ward zu Fischlein; die krochen, als es
ihnen im Wasser zu eng wurde, an Land, erprobten auf dem Trockenen
viele Kniffe und saugten sich unterwegs irgendwo fest. Zu Säugern
geworden, gelangten sie über das Hinken zu geschicktem Gehen und
dadurch, daß sie sich gegenseitig das Leben schwer machten, zu
Verstand, denn Verstand kommt von Sorgen, wie das Kratzen vom Jucken.
Später kletterten manche Säuger auf die Bäume; als die
Bäume aber verdorrten, mußten sie in ihrer großen Not
herabsteigen, durch diese Not wurden sie noch klüger – klug
leider auf verschlagene Art.
    Es gab keine Bäume mehr und nichts
Vegetarisches, deshalb gingen sie auf die Jagd. Einmal aber, als einer
einen Schenkel benagte, merkte er, daß er nur noch einen blanken
Knochen in der Hand hielt, ein andere dagegen Fleisch, flugs schlug er
dem den Knochen über den Schädel und nahm ihm das Fleisch
weg. Das war der Erfinder der Keule. Einige Zeit danach entstand das
Gesetz. Zur Frage seiner Entstehung entwickelte der semenidische
Intellekt achthundertunterschiedliche Ansichten. Was uns betrifft, so
meinen wir, das Gesetz war nötig, um das Dasein erträglich zu
machen, weil es sonst nicht auszuhalten wäre. Unsere Vorväter
hatten es schlecht, weshalb Groll sie erfüllte – aber wie
soll man Groll gegen einen Niemand hegen –, in gewissem,
äußerst subtilem Sinn gebar die Grammatik selbst,
unterstützt von der Phantasie, uns die Religion. Wenn es hier
schlecht ist, dann ist es woanders gut. Und wenn man den Ort nirgends
finden kann, dann liegt er dort, wo man zu Fuß nicht hingelangt.
Ergo ist das Grab eine Sparbüchse. Legst du deine tugendsamen
Knochen hinein, wird dir im Jenseits Entschädigung gezahlt, und
zwar reichlich, in einer ewig gültigen, von Gott selbst gedeckten
Währung. Unsere Vorfahren haben jedoch heimlich jenes Gesetz
gebrochen, da es ihnen nicht ganz gerecht erschien, daß alles
Beste ausschließlich den Toten vorbehalten sein sollte. Diesen
Vorbehalt rechtfertigten unsere Theologen auf dreihundertfache Weise
– doch lassen wir das, sonst würden für unsere
Erzählung auch tausend Nächte nicht reichen.
    Unsere Ahnen erleichterten sich die tägliche
Schinderei durch mancherlei Tricks und Machinationen, aus denen die
Maschinen hervorgingen, die an ihrer Stelle mit Dreschflegeln
hantierten, nach den Dreschflegeln mit Rädern und nach den
Rädern mit Bits – worin eine starke Verkürzung steckt,
die übrigens angebracht ist. Während sie so ihre Nöte
verringerten, erfuhren sie gelegentlich, daß die Semenia
Kugelgestalt besitzt, die Sterne Knoten sind und das Firmament
zusammenhalten, der Pulsar ein Stern mit einem Schluckauf ist und der
Schlamm die Semeniden geboren hat – was sich in speziellen
Brütern sogar schon im Jahre dreißigtausend nach dem
Feuerschlagen wiederholen ließ.
    Das
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