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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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auf der Erde hat man einmal als Häresie
betrachtet, und kaum hundert Jahre trennen uns von jener Zeit, als man
allgemein so dachte. Wir können natürlich, wenn wir uns als
intellektuelle Feiglinge erweisen wollen, von der wahrscheinlichen
künftigen Entwicklung schweigen, doch dann muß man zumindest
sagen, daß wir uns wie Feiglinge verhalten. Der Mensch kann nicht
die Welt verändern, ohne sich selbst zu verändern. Es ist
möglich, einen Weg zu beschreiten und so zu tun, als wisse man
nicht, wohin er führt. Doch ist das nicht die beste aller
möglichen Strategien.
    Was der Verfechter einer Rekonstruktion der Gattung
hier geäußert hat, verdient, wenn nicht akzeptiert, so doch
zumindest erörtert zu werden. Es sind zwei unterschiedliche
Einstellungen, von denen grundsätzlicher Widerspruch kommen kann.
Die erste ist eher emotional als rational, jeden falls insofern, als
sie einer Revolutionierung des menschlichen Organismus ihre Zustimmung
versagt, weil sie »biotechnologische« Argumente nicht zur
Kenntnis nimmt. Sie hält die Konstitution des Menschen, wie sie
heute ist, für unantastbar, auch wenn sie zugibt, daß diese
mit zahlreichen Gebrechen behaftet ist. Auch diese sowohl physischen
wie geistigen Gebrechen seien im Laufe der historischen Entwicklung zu
Werten geworden. Was auch immer bei einer Autoevolution
herauskäme, es würde bedeuten, daß der Mensch von der
Oberfläche der Erde verschwinden müsse; sein Bild werde in
den Augen des »Nachfolgers« eine tote zoologische Kategorie
sein, wie es für uns der Australopithecus oder der Neandertaler
seien. Für ein beinahe unsterbliches Wesen, dem der eigene
Körper genauso unterworfen sei wie die Umwelt, werde es die
Mehrheit der ewigen menschlichen Probleme nicht mehr geben; eine
biotechnologische Umwälzung bedeute somit nicht nur die
Auslöschung der Gattung homo sapiens, sondern zugleich die Vernichtung seines geistigen Erbes. Sofern es
keine Phantasmagorie sei, sei es schlichter Hohn, wenn man sich
vorstelle, daß der Mensch, statt seine Probleme zu lösen,
statt eine Antwort auf die Fragen zu finden, die ihn seit jeher
quälen, sich vor ihnen in die materielle Vollkommenheit
zurückziehe; was für eine schändliche Flucht, was
für ein Ausweichen vor der Verantwortung, wenn der homo sich mit Hilfe der Technologie zu einem deus ex machina verpuppe!
    Die zweite Einstellung schließt die erste
nicht aus: wahrscheinlich teilt sie deren Argumente und Empfindungen,
doch tut sie das stillschweigend. Wenn sie das Wort ergreift, dann
stellt sie Fragen. Welche konkreten Verbesserungen und Rekonstruktionen
schlägt der »Autoevolutionist« vor? Lehnt er es als
verfrüht ab, nähere Erläuterungen zu geben? Und woher
weiß er, daß die bis heute unerreichte Vollkommenheit der
biologischen Lösungen irgendwann überholt sein wird? Auf
welche Tatsachen stützt er diese seine Vermutung? Ist es nicht
vielmehr wahrscheinlich, daß die Evolution das Maximum der
materiellen Möglichkeiten erreicht hat? Daß die
Komplexität, die der menschliche Organismus repräsentiert,
einen Grenzwert darstellt? Natürlich – das weiß man
auch heute schon – können maschinelle Systeme hinsichtlich
einzelner Parameter wie etwa der Schnelligkeit der
Informationsübertragung, der Zuverlässigkeit der lokalen Wirkung
und der Konstanz ihrer Funktionen – für die sie über
vielfältige Realisatoren und Kontrolleure verfügen –
den Menschen übertreffen; es ist jedoch eine Sache, Kraft,
Effektivität, Schnelligkeit oder Ausdauer jeweils für sich
genommen zu potenzieren, und eine ganz andere, all diese optimalen
Lösungen in einem System zu integrieren.
    Der Autoevolutionist ist bereit, den Fehdehandschuh
aufzunehmen und diesen Argumenten mit Gegenargumenten zu begegnen. Doch
bevor er sich auf die Diskussion mit den Ansichten seines
rationalistischen Gegners einläßt, gibt er zu erkennen,
daß ihm die zuerst beschriebene Einstellung nicht fremd ist. Denn
angesichts der Pläne für eine Rekonstruktion der Gattung
empfindet er im Grunde seiner Seele denselben heftigen Widerstand wie
derjenige, der diese Rekonstruktion kategorisch verurteilte. Er
hält jedoch diese künftige Veränderung für
unausweichlich, und gerade deshalb möchte er alle Gründe
kennen, die für sie sprechen könnten, damit das, was mit
Notwendigkeit eintritt, sich mit dem Ergebnis einer freien Entscheidung
deckt. Er ist kein apriorischer Opportunist: Er glaubt nicht, daß
das Notwendige unbedingt das Gute sein
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