Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit
Autoren: Andrej Djakow
Vom Netzwerk:
zaghaft, als die anderen vom sorglosen Leben und Wohlstand auf der Insel schwärmten.
    Im allgemeinen Überschwang achtete niemand darauf, dass plötzlich grelles Licht durch den Türspalt drang. Der Raum und alles, was sich darin befand, wurde für einige Sekunden in ein bizarres, bläuliches Licht getaucht. Erst als die eiserne Tür mit Getöse aufflog, hoben die Arbeiter den Kopf und sahen, wie Petro schreiend die Treppe herunterflog. Nach dem haarsträubenden Sturz krümmte sich der Junge am Boden und schlug sich heulend die Hände vors Gesicht.
    Chaos brach aus. Einige sprangen dem Unglücksraben bei und versuchten, ihm die Hände vom Gesicht zu ziehen. Die anderen stürmten zum Ausgang, um zu ergründen, was es mit dem grellen Licht auf sich hatte.
    »Er ist blind!«, schrie jemand erschrocken. »Dem Jungen hat es die Netzhaut verbrannt!«
    Erstaunlich behände kletterte der korpulente Schwede die Treppe hinauf. Er bemerkte als Erster das gleichmäßige Grollen, das von irgendwo dort draußen kam und stetig lauter wurde. Seine Zähne begannen plötzlich zu schmerzen. Einen Augenblick später wuchs sich das bedrohliche Geräusch zu einem verheerenden Donner aus. Der Mechaniker wurde von Panik gepackt.
    »Herre Jesus!«, stieß Bergin hervor, als er oben in der Tür stand.
    Dem Schweden bot sich ein schockierendes, wahrhaft apokalyptisches Bild. Die wohlvertraute Silhouette der Insel mit ihren felsigen Ufern und grünen Alleen war spurlos verschwunden . A n ihrer Stelle wuchs ein gigantischer Atompilz empor. Wie gelähmt beobachtete der Mechaniker, wie der monströse Feuerball sich immer mehr aufblähte und einen purpurroten Schein in den Himmel warf. Dann erzitterte der Boden unter seinen Füßen und das Deck begann zu wackeln. Von einer unsichtbaren Kraft wurde Bergin in den Maschinenraum zurückgeschleudert und schlug mit dem Rücken gegen einen Lüftungskanal.
    Die »Babylon« wurde von einem Ausläufer der Druckwelle erfasst. Wie welkes Laub fegten die entfesselten Luftmassen die Holzhütten von der alten Stahlkonstruktion. Die Unseligen, die sich gerade auf den Außendecks aufhielten, wurden von den Orkanböen ins Meer gerissen. Ein Steinhagel aus glühendem Schotter und Felsbrocken trommelte gegen die Bordwände der »Babylon«.
    Kurze Zeit später brandeten tonnenschwere Wassermassen gegen die Bohrplattform, als wollten sie den menschengemachten Giganten einem Härtetest unterziehen. Die Stützgerüste knarzten bedrohlich, und die altersschwachen Schotten vibrierten. Stahlplatten wurden aus der rostigen Außenhaut gerissen und vom Meer verschluckt. Noch einmal wurde die »Babylon« heftig durch gerüttelt, dann glitt sie langsam vom Kamm der Monsterwelle herab. Hinter ihr schwamm eine Schleppe aus Segeltuchfetzen, Kleinholz und menschlichen Körpern.
    Großvater Afanassi stützte sich auf seine zittrigen Arme und sah sich im Halbdunkel um. Die Beleuchtung war ausgefallen. Seine Leute lagen kreuz und quer durcheinander, viele stöhnten jämmerlich. Der Brigadier stand auf und tastete sich auf seinen steifen Beinen voran. Nach wenigen Schritten erkannte er die Silhouette des auf dem Boden liegenden Bergin. Eines seiner Beine war unnatürlich verrenkt und aus seinem Mundwinkel rann Blut.
    »Die Insel …«, krächzte der Schwede.
    »Was?« Der Alte kniete sich neben Bergin hin und stützte vorsichtig den Kopf des Verletzten. In Afanassis Augen stand noch eine stumme Frage, doch die Vorahnung des Unausweichlichen legte sich bereits als finsterer Schatten über sein Gemüt. »Was ist mit der Insel?«
    »Sie existiert nicht mehr …«
    Dieser lapidare, im Flüsterton gesprochene Satz schlug bei den Übrigen im Raum wie eine Bombe ein . A fanassi sah sich Hilfe suchend um . A ls er den Zugereisten erblickte, zuckte der Alte zusammen. Der Flüchtling lehnte zusammengekauert an der Wand und schaute den Brigadier mit leeren Augen an. Das schüchterne Lächeln von vorhin war verflogen. Sein Gesicht war eine Maske der Ohnmacht, seine Lippen zitterten.
    »Ich will nicht in die Metro zurück«, stammelte er tonlos. »Nie mehr … nie mehr …«
    Der Laderaum der ramponierten »Babylon« füllte sich allmählich mit Menschen . A us allen Winkeln der gigantischen Plattform strömten die Überlebenden herbei. Die einen in der Hoffnung, etwas über das Schicksal ihrer Verwandten zu erfahren, die sie auf der Insel zurückgelassen hatten. Die anderen, um ihren Schmerz zu teilen. In der Menge mischten sich zornige Schreie in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher