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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit
Autoren: Andrej Djakow
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Wohnblock . A n ihren Namen konnte sich Afanassi nicht erinnern – er war inzwischen etwas vergesslich geworden. Der zweite Neue war dagegen ein »Zugereister«. So betitelten die Siedler etwas abschätzig die Emigranten aus dem Sankt Petersburger Untergrund, die bei der ersten Gelegenheit auf die Insel übersiedelt waren.
    Um ehrlich zu sein: Diese Leute boten ein Bild des Jammers. Blasse Haut. Zerschlissene Kleidung. Nervöse, deprimierte Gestalten, die sich von den anderen Inselbewohnern abkapselten . A ls man ihnen die Baracken zeigte, die für sie vorgesehen waren, hatten sie sich strikt geweigert, dort einzuziehen. Ihre notorische Angst vor der Oberfläche saß tief. Letztlich hatten sie sich für einen Erdkeller unter einem Lagerhaus entschieden. Dort saßen sie nun wie im Schneckenhaus. Die Mutigeren von ihnen wagten sich natürlich nach oben, um die Einheimischen kennenzulernen. Doch das waren die wenigsten. Das Leben in der Metro hatte Spuren hinterlassen.
    Der Zugereiste saß schweigend in der Ecke . A ls ihm jemand eine Selbstgedrehte anbot, nahm er dankend an. Doch anstatt sie anzuzünden, wickelte er sie in ein sauberes Tuch und steckte sie in die Brusttasche seiner Arbeitsjacke. Die anderen sahen einander verwundert an. Diese Zugereisten waren schon komische Käuze.
    »Sag mal, Afanassi«, begann Bergin, »wozu wir brauchen eigentlich so viel Holz? Vor eine Woche sind wir schon gefahren. Vor zwei Wochen auch. Wozu das?«
    »Überleg doch mal«, erwiderte der Brigadier und richtete den Blick auf den Fremdling. »Woraus sollen wir sonst die Häuser für die neuen Einwohner bauen?«
    »Was wollen die denn mit Häuser?« Der fette Schwede grinste und winkte ab. »Die sitzen doch sowieso in ihre Keller wie Ratten.«
    Der Flüchtling starrte mit unbewegter Miene auf den Boden und schwieg.
    »Halt dich ein bisschen zurück, Bergin«, versetzte Großvater Afanassi. »Diese Leute sind auch so schon gestraft genug. Ich möchte dich mal sehen nach so vielen Jahren unter der Erde. Ohne Licht und anständiges Essen. Und dann noch die ganzen Bestien, die dich verfrühstücken wollen …«
    »Ja, weil es keine Kampf dagegen gibt! Dieses Getier muss man … burn … Feuer machen . A ber die haben sich in Erde eingegraben. Obwohl Mensch kein Wurm ist!« Bergin bedachte den Neuling mit einem unverhohlen geringschätzigen Seitenblick. »Bist du dort mal an die Oberfläche gegangen?«
    Der Flüchtling hob den Kopf und sah den Schweden mit leeren Augen an.
    »Ja«, antwortete er tonlos.
    »Was ja?«
    »Einmal war ich oben.«
    »Und?«, bohrte der Schwede nach, sichtlich genervt, dass er seinem Gesprächspartner jedes Wort aus der Nase ziehen musste.
    Der Übersiedler wurde weiß im Gesicht. Er kauerte sich zusammen, umfasste die Knie mit den Armen und starrte wieder auf den Boden.
    »Zu siebt sind wir damals losgezogen. Holz holen … Fünf von uns wurden aufgefressen. Meinen Kumpel habe ich auf den Schultern zur Station zurückgeschleppt. Er war übel zugerichtet, blutete wie ein Schwein und schrie wie am Spieß. Er hat mich angefleht, seinem Leiden ein Ende zu machen. Ich habe nicht hingehört und ihn trotzdem zurückgebracht. Einen Tag lag er im Fieberwahn. Dann starb er. Und am nächsten Morgen kroch ekliges Getier aus ihm heraus. Die zirpende Bestie hatte ihre Maden in ihm abgelegt. Mein Kumpel war eigentlich immer ein Glückspilz gewesen. Bis dahin.«
    Der Schwede schaute den hageren Neuling mit versteinerter Miene an. Erst als die heruntergebrannte Zigarette im Mundwinkel seinen Bart versengte, besann er sich, spuckte die Kippe aus und klopfte dem Flüchtling auf die Schulter.
    »Du … also … Ich habe Mist geredet. Sei mir nicht böse, Junge.«
    »Böse? Wieso böse? Ewig dankbar werde ich euch sein, wenn ich bei euch bleiben darf. Ich bin hart im Nehmen. Ich werde arbeiten. Notfalls für drei! Das ist alles besser, als unter der Erde zu leben. In der Metro herrschen Hunger und Tod. Dort will ich nicht mehr hin. Nie mehr!«
    »Schon gut, Junge, schon gut.« Bergin war sichtlich verlegen. »Jetzt erledigen wir Job und dann … come back … feiern wir deine Einstand. Bei uns auf der Insel gibt es süffigeBraga. Dort lässt sich’s leben!«
    Die anderen Mechaniker nickten eifrig. Das Gespräch nahm nun einen deutlich entspannteren Verlauf. Man unterhielt sich über die Vorzüge diverser Kneipen, von denen es auf der Moschtschny ein gutes Dutzend gab . A uch der Flüchtling beruhigte sich und lächelte sogar
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