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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers
Autoren: Gisbert Haefs
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Andersartigkeit hätte benennen können.
    Beide trugen Stiefel, darüber weite Beinkleider und offene Reisemäntel oder Umhänge; die Gürtel waren zu sehen, und an ihnen hingen Dolche in gewöhnlichen Scheiden. Ich erinnerte mich plötzlich an Bilder von Fremden, die so ähnlich ausgesehen hatten; aber deren Dolche und Scheiden waren krumm und verziert gewesen. Krumme Messer an den Gürteln wären mir beinahe vertraut vorgekommen; die gewöhnlichen Stichwaffen machten alles noch fremder.
    Das stimmt natürlich so nicht; dieser Anblick ist eine Dreingabe meines erfindungsreichen Gedächtnisses. So habe ich sie oft gesehen, aber an jenem Tag im Wald hatten sie kriechen müssen und die Umhänge zurückgelassen, und da sie auf dem Bauch lagen - auch der zweite, der mit dem Bogen, hatte sich hingelegt -, kann ich weder Gürtel
noch Dolche bemerkt haben. Wahrscheinlich habe ich auch die oben niedergelegten Gedanken über das, was Gott kann und nicht will oder will und nicht kann, viel später zum ersten Mal gedacht - nicht damals, mit fünfzehn, überwältigt vom Entsetzen, das weder Luft zum Atmen noch Raum zum Grübeln ließ.
    Damals wußte ich auch nicht, in welcher Sprache sich die beiden berieten, als die Mörder das Tal verlassen hatten. Arabisch - inzwischen habe ich davon mehr vergessen, als ich noch beherrsche. Aber das hat keine Bedeutung für die Geschichte, die zu erzählen man mich gedungen hat. Ebenso wenig das, was in den folgenden fünf Jahren geschah. Ohne die Kenntnisse und Fertigkeiten, die ich in diesen Jahren erwarb, hätte ich all das, was aufzuschreiben ist, weder erlebt noch überlebt. Insofern hat es eine gewisse Grundbedeutung, wie die Mauern sie haben, die den Palast oder den Kerker tragen. Ob das Leben, von dem ich zu berichten habe, Palast war oder Kerker, mögen andere erwägen; hierzu ist es nicht nötig, die Grundmauern des Gebäudes genau zu kennen. Aus diesen fünf Jahren sei also nur verzeichnet, was für die Erfassung des übrigen Berichts unabdingbar ist.
    Der Mann, der sich auf mich geworfen und mir den Mund zugehalten hatte, war Grieche und muß damals um die fünfunddreißig gewesen sein. Je nachdem, wo wir uns gerade aufhielten, nannte er sich Georg, Georges oder Giorgio; unter uns hieß er Jorgo. Er war versklavt worden und ein Diener von Kassem ben Abdullah. Den zweiten Diener sah ich nicht gleich; Ibrahim, der Jude war, eigentlich Abraham hieß und sich Avram nannte, hütete die Pferde, während die anderen durch den Wald schlichen. Und Kassem, natürlich, mein Herr, mein Vater, Freund und Leiter - aber über ihn und die anderen wird später genug zu schreiben sein.

    Nachdem die Mörder fort waren, warteten wir eine Weile, um sicher zu sein, daß sie nicht zurückkommen würden. Dann gingen wir ins Tal zu den Ruinen und den Toten.
    Da dies nicht die Geschichte meiner Empfindungen ist, brauche ich mich nicht an das Grauen zu erinnern. Einhundertneun Tote; ich wäre der hundertzehnte gewesen. Kassem wollte weiterreiten; die beiden anderen zeterten und flehten (so klang es und so sah es aus), bis er bereit war, länger zu verweilen. Schließlich faßte er selbst mit an. Meine Eltern und Geschwister legten wir in ein kleines Grab, auf dem ich ein Holzkreuz errichtete. In den Querbalken ritzte ich die Namen, abgekürzt, so gut es ging. Für die anderen Dorfbewohner gab es ein großes gemeinsames Grab.
    Später erfuhr ich, daß Jorgo und Avram sich dafür eingesetzt hatten, mich mitzunehmen, wenigstens bis zum nächsten größeren Ort. Ich war zu ausgehöhlt, als daß ich Gedanken auf meine Zukunft hätte verschwenden können. Später überlegte ich, ob es eine andere Möglichkeit gegeben hätte - für mich, nicht für Kassem, Jorgo und Avram. Sie hätten mich zurücklassen oder erschlagen können.
    Und ich? Hätte ich denn zurückbleiben sollen, um allein das Dorf wieder aufzubauen, allein die Felder zu bestellen? Seit wir aus der Stadt in dieses Dorf gekommen waren, hatte ich das Bauernleben gehaßt - vier Monate, seit der Flucht. Ich wußte nicht einmal, warum wir dorthin geflohen waren, mit der Billigung des Grafen, dem die Ländereien und das Gutshaus gehörten.
    Aber was wußte ich schon? Die Eltern hatten mich lesen, schreiben und rechnen gelehrt, dazu Latein und Französisch, und nichts davon war auf den Äckern hilfreich, abgesehen vielleicht davon, daß ich beim Melken und Roden und Graben nutzlosen Gedanken und Wünschen hatte nachhängen
können, die die Arbeit nicht
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