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Die Rache des Kaisers

Titel: Die Rache des Kaisers
Autoren: Gisbert Haefs
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Bemerkung zu machen. Die fleischigen, fast wulstigen Lippen bewegten sich, das übrige Gesicht, eine
breite, seltsam leblos wirkende Fläche, machte die Mundbewegungen nicht mit. Das Gesicht einer Maske oder eines zermalmenden Götzen - Moloch , sagte ich mir. Als er die linke Hand hob, um den Hut zurechtzurücken, sah ich ein metallisches Blitzen; alles ging jedoch zu schnell, als daß ich es genauer hätte bestimmen können. Vielleicht ein eiserner Handschuh oder ein klobiger Ring.
    Auf dem Bock des Karrens saßen zwei Männer; sie schienen mit den Augen an den wogenden Hintern der beiden Pferde zu hängen, als hätten sie derlei nie vorher gesehen. Der Linke hatte eine Nase, die einem Schweinerüssel glich; der Rechte hatte den Kopf gesenkt, so daß ich das Gesicht nicht sehen konnte.
    Auf der Ladefläche des Karrens, umgeben von Beuteln und Säcken, saß ein Priester, oder jedenfalls ein Mann in dunkler Kutte und mit Tonsur. Er hatte die umwickelten, von etwas wie einer dünnen Kette zusammengebundenen Unterarme auf die Knie gelegt. Die Entfernung sowie das Spiel der Lichter und Schatten - eben fuhren sie unter einer Linde vorbei - mochten mir etwas vorgaukeln, aber ich war mir ziemlich sicher, daß der Priester oder Mönch die Lippen wie im Gebet bewegte. Und daß ihm Tränen die Wangen herabrannen. Es waren fleischige Wangen, fast Beutel, und von der Mitte des Schädels bis zur halben Stirn hatte er ein flammendes Brandmal. Ein Gefangener vielleicht, den sie mit Feuer gefoltert hatten.
    Links hinter dem Karren ritt ein Riese, an die sechseinhalb Fuß groß, falls der mächtige Oberkörper nicht zu winzigen Beinen gehörte. Groß, breite Schultern, aber nicht fett - ein Hüne voller Muskeln. Außer der fleischigen Nase war nichts in seinem Gesicht auffällig, aber insgesamt wirkten die Züge bedrohlich; es war das Gesicht eines grimmen, freßgierigen
Bären. Auf dem Kopf trug er einen schlichten Helm. Die linke Ohrmuschel fehlte. Der einohrige Bär , dachte ich. Er hielt die Zügel in der rechten Hand und ließ die linke baumeln: eine Pranke, groß wie ein Eßbrett oder eine kleine Schaufel. Ein Sonnenstrahl fiel darauf, und ich sah, ehe der Widerschein mich blendete, eine schwarze Linie am Mittelfinger, die der dicke Ring sein mußte, der den lichtspeienden Stein trug.
    Der vierte Reiter, rechts hinter dem Karren, trug einen ausladenden Hut mit wippenden Federn, die das Gesicht teils verdeckten, teils verschatteten. Sichtbar und denkwürdig war nur die Nase, lang und gekrümmt wie der Schnabel eines Raubvogels. Außerdem war sie wohl irgendwann einmal gebrochen, so daß sie nicht nur an der Oberlippe, sondern auch noch am linken Mundwinkel zu schnüffeln schien. Sperber, dachte ich - nein, Mordfalke .
    Mehr mußte ich aber von seinem Gesicht nicht sehen, denn ich kannte es bereits. Es gehörte einem der Pilger, die wir abends aufgenommen hatten. Erbärmlich und entstellt und arm war er mir vorgekommen; nun wirkte er bedrohlich und unheimlich, ein fleischgewordener Fluch.
    Ich blickte nach links, zum Talausgang: Ob es dort eine Stelle gab, noch näher am Weg, zu der ich mich schnell und unauffällig begeben könnte?
    Aus den Augenwinkeln sah ich eine flüchtige Bewegung. Als ich mich umdrehen wollte, flog ein Schatten durch die Luft. Das Gewicht eines Mannes lastete plötzlich auf mir, drückte mich beinahe in den Boden, und eine harte Hand preßte sich auf meinen Mund.
     
    Als ich aufhörte, mich vergeblich zu wehren, ließ der Druck ein wenig nach. Der Mann näherte seinen Mund meinem Ohr und flüsterte: »Kein Laut.«

    Unter der pressenden Hand zu nicken war nicht ganz einfach, aber ich brachte zumindest ein Zucken zustande.
    »Still, ja?«
    Er rutschte zur Seite, so daß ich mich aufrichten konnte. Nun erst sah ich, daß hinter ihm ein zweiter Mann stand. Er hielt einen gespannten Bogen in den Händen; die Spitze des Pfeils schien vor meinem linken Auge zu glitzern.
    Etwas an den Männern wirkte fremd, aber das bemerkte ich erst nach und nach. Zuerst sah ich nur die Pfeilspitze, dann die Kleidung - schlichte Sachen, wie einfache Reisende sie tragen - und erst danach, im Zwielicht des Waldes, die Gesichter.
    Sie waren dunkler als alle, die ich bis dahin gesehen hatte. Die Haut war braun, aber ein anderes Braun als jenes, das die Gesichter von Feldarbeitern am Ende des Sommers zeigen. Auch die Haare und die Augen waren dunkel, und die Züge insgesamt irgendwie anders geschnitten, ohne daß ich die
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