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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin
Autoren: wood
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Geliebten. Er ritt am felsigen Ufer entlang und folgte den ausgetrockneten Wasserläufen. Er hob den Kopf und blickte hinauf zu den Sternen, als suche er sie auch dort.
    Dann hörte er plötzlich einen erstickten Laut in der stillen Nacht. Er irrte durch die Dunkelheit. Schließlich fand er das tote Pferd und in der Nähe das purpurrote Gewand. Und er entdeckte den Brunnen. Er lauschte.
    Er rief ihren Namen. Er hörte ein Stöhnen. Der junge Mann wendete seinen Hengst, galoppierte zum Lager zurück und holte ein Seil. Als er den Brunnen wieder erreicht hatte, schlang er ein Ende des Seils um einen Felsen und kletterte in die Tiefe.
    Sein Fuß stieß gegen etwas Weiches, und er wich seitlich aus, bis er den Boden spürte. Dann tastete er in der Dunkelheit nach seiner Geliebten. Er fand sie, und als er feststellte, daß sie nackt war, sank er neben ihr nieder und flüsterte: »Hab keine Angst, Liebste. Wir sind in Sicherheit. Deine Peiniger sind tot. Der Magus ist tot. Gib mir deine Hand, denn ich kann dich nicht sehen.« Er wartete, aber alles blieb still. »Warum gibst du mir keine Antwort?«
    Er legte den Kopf auf ihre Brust. Ihr Herz schlug nicht mehr. Ihr Körper war noch warm. Noch vor kurzem hatte sie gestöhnt, aber jetzt war sie tot.
    Sein Klageruf hallte dumpf in dem dunklen, tiefen Brunnen und stieg hoch zum Himmel auf. Er hatte seine Zeit damit vergeudet, die Männer und den Magus zu töten, während sie hier einsam und verlassen in dem Brunnen lag und starb. Seine Hilfe kam zu spät.
    Schluchzend kletterte er aus dem Brunnen und holte das reich bestickte purpurrote Gewand, das ihr gehört hatte. Als er wieder in den Brunnen stieg, hielt er einen Augenblick an, bevor er den Boden erreichte. Kurz entschlossen durchtrennte er mit dem Dolch das Seil. Er fiel auf den Boden, das Seil baumelte außer Reichweite über ihm. Er breitete das Gewand über die inzwischen erkaltete Leiche, legte sich neben sie und nahm sie in die Arme. Seine Tränen wärmten ihr die Haare. »Du sollst nicht vergebens gestorben sein, Geliebte«, flüsterte er. »Die Götter sind Zeugen meines Schwurs. Mein Glaube, der sich von deinem unterscheidet, gibt mir die Kraft, dir zu versprechen, daß dein Tod nicht umsonst gewesen ist. Wir werden wieder Zusammensein und uns ewig lieben. Das gelobe ich dir.«

    Der erste Tag

    Dienstag, 14. Dezember 1999
    Scharm el Scheich, Golf von Akkaba

    Die Explosion erschütterte das Land im weiten Umkreis und zerriß die morgendliche Stille. Staubwolken stiegen in die Luft, Geröll prallte an die zerklüfteten Felsen. Vögel, die in den Dattelpalmen saßen, flatter-ten erschrocken auf und flogen über das blaue Wasser des Golfs.
    Dr. Catherine Alexander kam stolpernd aus ihrem Zelt. Zum Schutz vor den Strahlen der aufgehenden Sonne legte sie eine Hand über die Augen und blickte auf die etwa zweihundert Meter von ihrem Lager entfernte Baustelle. Beim Anblick der riesigen Baumaschinen lief ihr ein Schauer über den Rücken. Und als sie die Staubwolke sah, hätte sie vor Empörung beinahe laut aufgeschrien.
    Warum das Dynamit?
    Man hatte ihr versprochen, sie rechtzeitig vor einer Sprengung zu informieren. Die Baustelle befand sich ohnehin zu nahe an ihrer Grabungsstelle, und das Dynamit konnte die vorsichtig ausgehobenen Gräben mit einem Schlag vernichten. Sie zog schnell die Stiefel an und rief den Männern ihrer Mannschaft, die verschlafen aus den Zelten krochen, zu: »Seht euch die Gräben an! Vergewissert euch, daß die Stützbalken halten. Ich werde mit unserem Nachbarn ein ernstes Wort reden.« Während Catherine über den Sand eilte, sah sie, daß bereits Planierraupen heranfuhren, um das gesprengte Gestein abzuräumen. Sie fluchte leise.
    Hier sollte ein Hotelkomplex entstehen, einer der vielen luxuriösen, klimatisierten Tummelplätze für reiche Touristen, die an der östlichen Küste der Sinaihalbinsel gebaut wurden. So weit man sehen konnte, ragten an der sanft geschwungenen Küste Hotels und Hochhäuser wie weiße Monolithe in den blauen Himmel und verwandelten die karge Landschaft in ein zweites Miami.
    Catherine wußte, bald würde es hier keine Stelle mehr geben, an der Archäologen graben konnten. Das hatte sie versucht den Bürokraten in Kairo zu erklären, als sie sich vergeblich darum bemühte, einen Baustopp für das neue Hotel zu erwirken, bis ihre Ausgrabungen abgeschlossen sein würden. Aber in Kairo hörte niemand auf eine Frau und erst recht nicht auf eine, der man die
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